Dämenkind 2 - Kind der Götter
Spion …«
»Spion?«, wiederholte Wulfskling, indem er den Blick vom Tisch hob. »Welcher Spion?«
Mikel wich einen Schritt zurück und warf ihm einen verkniffenen Blick zu. »Ich habe nichts von einem Spion gesagt.«
Wulfskling sah Tenragan an und zuckte die Achseln. »Schick ihn zurück zu den Pferden, Tarjanian. Adrina hat uns alles gesagt, was wir zu wissen wünschten. Sie hatte die Absicht, nach Fardohnja zu fliehen, um Cratyn zu entrinnen und zu verhindern, dass auch ihr Vater sich in den Krieg stürzt.«
»Das ist gelogen!«, schrie Mikel, den es entsetzte, dass diese Männer von der edelmütigen Prinzessin etwas dermaßen Niederträchtiges glauben konnten. »Ihr lügt!«
»Durchaus nicht«, erwiderte Tenragan. »Adrina selbst hat es uns erzählt.«
»Ihr müsst sie gefoltert haben!«
»Will man erwärmten Wein und ein molliges Feuer Folter nennen, dann magst du im Recht sein«, meinte Wulfskling mit mattem Schmunzeln. »Sie ist ein Wendehals, deine Prinzessin. Sie hängt ihr Mäntelchen häufiger in den Wind, als andere Leute die Kleidung wechseln.«
»Prinzessin Adrina ist die edelste, frömmste und schönste Frau auf der ganzen Welt! Und ebenso ist sie mutig.«
»Mutig?«, höhnte Tenragan. »Sie hat Reißaus genommen.«
»O nein! Sie hatte den Vorsatz, ihren Vater aufzusuchen und ihn zu bitten, dass er seine Geschütze schickt, auf dass Ihr allesamt verreckt.«
Tenragan und Wulfskling schauten sich gegenseitig an, während Mikel im selben Augenblick begriff, was er da unversehens ausgeplaudert hatte. Um ein Haar wäre er in Tränen ausgebrochen. Er wünschte, unter ihm würden die steinernen Fliesen bersten, auf dass die Erde ihn verschlänge.
Erst hatte Jaymes ihn verraten. Und jetzt hatte er selbst an Prinzessin Adrina Verrat begangen.
37
»WEM GLAUBT IHR? Dem Burschen oder der Prinzessin?« Hochmeister Jenga stapfte vor dem Kamin auf und ab und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Graues Tageslicht drang in den Saal, doch sogar im näheren Umkreis des Kaminfeuers blieb die Luft viel zu kühl.
Damin Wulfskling hob die Schultern. »Sie ist es, die lügt. Sie wollte sich nach Talabar durchschlagen, um ihren Vaters mitsamt seinem Geschütz hinein in den Krieg zu ziehen. Sie war auf keiner Flucht.«
Tarjanian nickte. »Ich glaube, der Junge spricht durchaus die Wahrheit, aber sie lautet so, wie er sie von deiner Prinzessin kennt. Sie konnte ihren Vorsatz, das Weite zu suchen, wohl kaum zuvor ankündigen.« Er saß vor den nur kärglich wärmenden Flammen und streckte der Glut die Stiefelsohlen entgegen; offensichtlich befriedigte es ihn, dass die Entscheidung über Adrinas Schicksal nicht ihm oblag.
»Wirst du es wohl gefälligst unterlassen, sie fortwährend meine Prinzessin zu nennen?«
Tarjanian grinste breit. »Du bist es, der sich mit ihr abgeben muss. Und stets betonst du ja, wie sehr viel besser du den fardohnjischen Adel als uns arme medalonische Ländler verstehst.«
»Diese Bemerkung ist wirklich äußerst geistreich.«
»Ich weise lediglich darauf hin, dass …«
»Lasst es gut sein, Tenragan«, unterbrach ihn Jenga müde. »Fürst Wulfskling, ich glaube sagen zu können, Ihr habt nicht die blasseste Ahnung, was sie eigentlich treibt.«
Wohl oder übel nickte Damin Wulfskling. »Leider trifft diese Einschätzung ganz und gar zu.«
»Und es sind keine Boten der Karier erschienen, um ihre Herausgabe zu fordern.«
»Dergleichen sollte mich aufs Stärkste überraschen«, meinte Tarjanian. »Wenn sie geflohen ist, wird Cratyn sie am allerwenigsten in Medalon vermuten.«
»Und falls sie die Wahrheit sagt«, schlussfolgerte Jenga, »dann muss er den Schein erwecken, als wäre alles in schönster Ordnung.«
»Vielleicht können wir aus dem Munde Ihrer Durchlaucht mehr erfahren, wenn sie der Ansicht ist, wir schenkten ihr Glauben.«
»Das Streckbett und glühende Zangen brächten sie weit schneller zum Reden«, brummelte Damin. Hochmeister Jenga warf ihm einen ungehaltenen Blick zu, ehe er sich an Tarjanian wandte.
»Diese Erwägung möchte ich näher erläutert haben.«
»Erheben wir sie von der Gefangenen zum Ehrengast, kann es dahin kommen, dass sie über mancherlei plaudert.«
Damin schaute Tarjanian an; ihm behagte die Richtung nicht, die das Gespräch nahm. »Sie verplaudert sich nicht. Für derlei ist sie viel zu gerissen.«
»Und doch könnte etwas daran sein«, sagte Jenga nachdenklich. »Was genau schlagt Ihr vor?«
»Gewährt ihr Freiheit innerhalb des Heerlagers.
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