Dämenkind 2 - Kind der Götter
gelang, gewissermaßen auf ihn herabzuschauen, obwohl er stand und sie auf dem Fußboden saß.
»Ihr habt die Sitten eines Barbaren.«
»Allem Anschein nach erweckt Ihr in mir ausschließlich die nachteiligsten Eigenschaften, Eure Hoheit.«
Zu seiner Verblüffung lächelte Adrina. »Ich habe eher das Gefühl, Eure ›nachteiligsten Eigenschaften‹ noch längst nicht kennen gelernt zu haben, Fürst Wulfskling. Was bringt Ihr da?«
Sie deutete auf den Beutel, den er bei sich hatte. Damin legte ihn neben die Matten.
»Hochmeister Jenga hat befohlen, Euch Eure Habseligkeiten wiederzugeben. Er ist der Ansicht, dass Euch in den eigenen Kleidern vielleicht wohler zumute ist.«
»Das ist sehr rücksichtsvoll vom Hochmeister«, sagte Adrina, während sie den Beutel durchsuchte. »Offenbar fehlt jedoch mein Schmuck.«
»Die Vorstellung, derartig kostbares Geschmeide könnte unbeaufsichtigt herumliegen, hat Medalons Oberstem Reichshüter Beunruhigung eingeflößt. Deshalb behält er Euren Schmuck bis auf weiteres in seiner Obhut. Selbstverständlich bloß zum Zweck der Bewachung.«
»Selbstverständlich«, wiederholte Adrina, obwohl in ihrem Ton leise Zweifel anklangen. »Darf ich aus seiner plötzlichen Sorge um mein Wohlergehen den Rückschluss ziehen, dass in Bezug auf mich eine Entscheidung gefallen ist?«
»In gewisser Hinsicht, ja. Was mich anbelangt, so bleibe ich dabei, dass ich kein Wort Eurer Mär glaube.« Eine völlige Kehrtwende vorzutäuschen, was seine Haltung anbetraf, hätte keinen Sinn gehabt: Sie hätte es augenblicklich durchschaut. »Zu meinem Leidwesen
sind die Medaloner einfältiger als ich. Hochmeister Jenga glaubt Eure Geschichte und hat angeordnet, Euch von Stund an als Ehrengast zu behandeln.«
»Also werde ich freigelassen?« Damin hörte ihrer Stimme ein Fünkchen Hoffnung an.
»Ich habe die Medaloner einfältig genannt, Eure Hoheit, aber nicht behauptet, sie seien strohdumm. Der Hochmeister wünscht Beweise. Sobald er voll und ganz vom Wahrheitsgehalt Eurer Schilderung überzeugt ist, gestattet er Euch die Heimkehr nach Fardohnja, selbstverständlich jedoch nur gegen die Zusicherung König Hablets, nicht die Grenzen zu überschreiten.«
»Und lehnt mein Vater eine solche Zusicherung ab?«
»Dann dürfte es ratsam sein, Ihr gewöhnt Euch an die medalonische Küche, Eure Hoheit, denn in dem Fall seht Ihr die Heimat nicht wieder.«
Kurz überlegte Adrina, aber Damin konnte ihr nicht ansehen, welche Gedanken ihre reizvolle Miene verbarg. Sie glich den prächtigen Feuerkorallen, die auf den Riffen südlich Groenhavns wucherten: Ungemein schön anzuschauen zwar, aber von mörderischer Gefährlichkeit.
»Welche Art von Beweis verlangt er?«, fragte sie zu guter Letzt.
»Auskünfte. Angaben, die er anhand anderer Quellen überprüfen kann.«
Adrina nickte. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich irgendetwas weiß, das für die Kriegsführung von größerer Bedeutung sein mag, aber ich werde mein Gedächtnis gründlich erforschen.«
»Sobald Euch etwas einfällt, sagt den Wächtern Be scheid. Dann trage ich dafür Sorge, dass der Hochmeister Eure Mitteilung erhält.«
Damin verabschiedete sich – aus Höflichkeit, nicht aus ehrlich empfundener Achtung – mit einer knappen Verbeugung und wandte sich zum Gehen; es wunderte ihn, dass er es geschafft hatte, in Adrinas Gegenwart so gelassen zu bleiben.
»Kriegsherr?«
Er drehte sich um. »Was gibt es noch?«
»Darf ich, da ich jetzt keine Gefangene mehr, sondern Ehrengast bin, dieses schäbige Loch verlassen?«
»Gewiss, aber nur in Begleitung. Ihr seid inmitten eines Heerlagers, Eure Hoheit. Der Hochmeister will nicht, dass Ihr irgendwelche Unbill erleidet.«
»Euch hingegen würde dergleichen kaum trübsinnig machen, nicht wahr, Kriegsherr?« Fest erwiderte sie seinen Blick; ihr Verhalten bedeutete eine offene Herausforderung. Fast übermannte Damin das Verlangen, diese Frau zu erwürgen; doch er bezwang seinen Zorn und rang sich ein Lächeln ab.
»Auch ich bin hier Gast, Adrina, und habe die Pflicht, mich den Wünschen meiner Gastgeber zu beugen. Es ist der Wunsch des Hochmeisters, dass Ihr eine zuvorkommende Behandlung genießt, folglich stelle ich Euch diese Gunst sicher. Doch verwechselt es nicht mit Schwäche. Kann ich nachweisen, dass Ihr lügt, durchschneide ich Euch frohen Herzens eigenhändig die Gurgel.«
Fall seine Worte ihr Furcht einjagten, ließ sie es sich nicht anmerken. Ihr Blick blieb fest, die Miene unverändert.
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