Dämenkind 2 - Kind der Götter
Draco grässlich zurichtete, stellte Loclon fest – ein wenig war es ihm peinlich –, dass der Blutgeruch ihn nicht abstieß, sondern sein eigenes Blut in Wallung brachte. Er drehte sich zur Seite, um den Beweis seiner Erregung zu verheimlichen.
»So was magst du wohl nicht sehen, Kamerad, hä?«
Loclon rang um Selbstbeherrschung, ehe er sich umdrehte, und versuchte seiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu verleihen. »Glaubst du nicht selbst, du hast gelinde übertrieben?«
Gawn hob die Schultern. »Ich dachte, es müsste dich freuen.«
»Freuen? Mich sollte es freuen zu sehen, wie du einen alten Mann zerstocherst, bis er einem Sieb gleicht?«
»Irgendein beliebiger Alter war er beileibe nicht, Loclon. Ich dachte, du wüsstest über ihn Bescheid. Meister Draco war Tarjanian Tenragans Vater.«
Bevor Loclon über diese bestürzende Enthüllung einen klaren Gedanken fassen konnte, erscholl aus einem hinteren Zimmer der Ruf eines Geistlichen. Alle Beteiligten eilten dorthin.
Auf der Schwelle lag eine stattliche Frau mittleren Alters. Blut umsickerte die Dolchwunde in ihrer Brust. Teils verdeckte ihr schwarzes Haar das Gesicht, aber es verbarg nicht den Ausdruck der Überraschung in den erloschenen Augen. Loclon stieg über den Leichnam hinweg. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, sank ihm das Kinn abwärts.
Sie hatten die Erste Schwester gefunden.
Sie kauerte, gekleidet in ein schlichtes, graues Kleid, auf dem Fußboden, die langen, ergrauten Haare hingen ihr ungepflegt auf die Schultern. In den Händen hielt sie eine zerfranste Stoffpuppe, der ein Auge fehlte. Sie schaukelte hin und her und summte eine tonlose Melodie.
Frohinia Tenragan, die grausamste Erste Schwester seit Menschengedenken, die Frau, die eine Säuberung angeordnet hatte, in deren Verlauf tausende von Medalonern zu Tode gekommen waren, hob den Blick, als sich die Männer in ihr Zimmer drängten, und lächelte ihnen zu.
»Möchtet ihr mit Püppi spielen?«, fragte sie.
44
SEIT ER MIT DACENDARAN Freundschaft geschlossen hatte, musste Mikel nur selten noch den vollen Tag lang bei den Pferden schuften. Kaum kreuzte der Dieb auf, wandte sich Sergeant Monthay an Mikel, schickte ihn fort und legte ihm nahe, sich bis zum Abendessen nicht mehr blicken zu lassen. Mikel wusste sich nicht zu erklären, wieso Dacendaran eine solche Wirkung auf den Medaloner ausübte, verzichtete jedoch zu guter Letzt aufs Grübeln, um das Glück nicht auf die Probe zu stellen. Vielleicht hatte der Allerhöchste diesen Weg gewählt, um ihm die Zwangsarbeit zu ersparen.
Manchmal gesellte sich auf den gemeinsamen Streifzügen Kalianah zu ihnen. Jedes Mal, wenn Mikel das barfüßige Mädchen erblickte, schaute es ihm geradewegs ins Gesicht und fragte: »Liebst du mich?«
Mikel empfand diese Frage als ganz und gar absonderlich, und anscheinend verdross sie auch Dacendaran; aber seit kurzem bejahte er schlicht und einfach, denn wenn er sie mit einer anderen Antwort abfertigte, dann schmollte Kalianah. Eine Bejahung dagegen versetzte sie den ganzen Tag über in fröhlichste Laune. Dann hielt sie Mikels Hand, lächelte ihm häufig zu und enthielt sich aller abfälligen Bemerkungen über den Allerhöchsten, und besonders Letzteres erleichterte Mikel in beträchtlichem Maß.
Offenbar reizte Kalianahs Gegenwart Dacendaran nicht wenig, denn er stritt ständig mit ihr; dennoch blieb er anscheinend völlig dazu außer Stande, ihr irgendetwas abzuschlagen. Wäre Kalianah seine Schwester gewesen, überlegte Mikel, hätte er sie angewiesen, das Haus zu hüten, und hätte sich sicher sein können, dass sie ihm gehorchte. Diese Medaloner hatten eindeutig keinen Begriff davon, wo der Platz einer Frau war.
Waren Dacendaran und Mikel allein, erkundeten sie stundenlang das medalonische Heerlager. Niemals stellten Hüter sie zur Rede, nie fragte man sie, was sie da trieben, keinmal gerieten sie in Schwierigkeiten. Noch größeres Interesse erweckte bei ihnen der Bereich, in dem der Tross lagerte.
Dacendaran hatte die Gabe, Leute mit einem Lächeln für sich zu gewinnen, sodass sie nicht den geringsten Zweifel an der Berechtigung seiner Anwesenheit anmeldeten. Einmal hatte Mikel es gewagt, sein Lächeln nachzuahmen. Er hatte sich damit bei einem HüterKrieger versucht, weil er gehofft hatte, sich ins Kastell einschleichen und Neues über das Schicksal der Prinzessin auskundschaften zu können. Doch der Hüter hatte ihn mit einer gemeinen Bemerkung fortgejagt.
Freilich musste er, befand
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