Dämenkind 2 - Kind der Götter
Dacendaran?«
Der Dieb zuckte mit den Schultern. »Nichts. Komm, es ist ratsam, dass wir uns sputen. Die Sonne geht schon fast unter, und im Dunkeln dürften wir das Nest kaum finden können.«
Mikel schüttelte den Kopf und schloss sich ihm von neuem an. Der Junge hatte die seltsame Angewohnheit, bisweilen unbegreifliche, ja nachgerade fabelhafte Dinge daherzureden. Darin sah Mikel durchaus einen Anlass zur Besorgnis.
Wie Dacendaran vorausgesagt hatte, hielt man sie nicht auf, als sie durchs Tor ins Kastell traten. Die Hü
ter-Krieger würdigten sie kaum eines Blicks. Kühn durchquerten sie den verschlammten Innenhof und strebten zu der bedrohlich morschen Außentreppe des Turms. Während sie vorsichtig die Stufen erklommen, verstand Mikel, warum Hochmeister Jenga das Betreten verboten hatte. Schon unter Mikels geringem Körpergewicht geriet das Mauerwerk ins Wanken.
Die Sonne schien auf die steilen Gipfel der Heiligen Berge gespießt zu sein, als sie den Söller des baufälligen Turms betraten. Zwar hatte er oben eine viereckige, großflächige Wehrplatte, aber die Brüstung war zerbröckelt, und eine Ecke umfasste nur noch einen Haufen zerfallener Mauersteine, der fast so hoch reichte wie Mikel. Zu diesen Trümmern führte ihn Dacendaran, und sie zwängten sich durch die Bresche zwischen Schutt und Gemäuer.
In dem kleinen Hohlraum, den das eingestürzte Mauerwerk bildete, roch es modrig, im Übrigen jedoch hatte die Schwalbenmutter einen überaus tauglichen Ort gewählt. Das Nest genoss Schutz gegen den Wind und das Auge jedes umherstreifenden Habichts, der auf leichte Beute lauerte.
»Da sind sie«, sagte Dacendaran. »Fünf Eier.«
»Ich sehe nichts«, murrte Mikel. Tatsächlich war es in der engen Nische dermaßen finster, dass er selbst Dacendaran nur am Funkeln der Augen erkennen konnte.
»Schau doch, sie liegen …«
»Scht!« Mikel hielt ein, als er mit einem Mal Schritte hörte. Er drehte sich ein wenig um, sodass er ins Freie spähen konnte.
Da erblickte er Prinzessin Adrina und musste einen Aufschrei der Überraschung unterdrücken, als sich ein Mann zu ihr auf den Turm gesellte. Scharf hoben sich die Umrisse des hythrischen Kriegsherrn vom Sonnenuntergang ab.
»Ich baue darauf, dass Ihr einen vernünftigen Grund für diesen gefahrvollen Aufstieg habt?«, fragte die Prinzessin, während sie sich von einer zur anderen Seite wandte und den Blick über die Ebene schweifen ließ.
»Ich dachte, Euch gefällt die Aussicht, Hoheit.«
Wahrhaftig, Damin Wulfskling sollte der Prinzessin, wenn er mit ihr sprach, mehr Achtung und Höflichkeit erweisen.
»Sie ist nicht unangenehm. Können wir nun umkehren?«
»Sagt mir, was Ihr seht.«
»Ich sehe nichts, aber ich friere. Ist diese Posse wirklich erforderlich?«
»Ihr seht nichts«, äußerte Wulfskling versonnen. »Recht eigenartig, nicht wahr?«
»Ein Nichts erachtet Ihr als eigenartig? Aber was denn, bei einem Mann mit Eurem stumpfen Verstand kann dergleichen schwerlich verwundern.«
Im Dunkel des Verstecks grinste Mikel. Eine tüchtige Abfuhr hat sie ihm da erteilt.
»Adrina, ein paar Landmeilen entfernt lagert das Heer Eures Gemahls und verhält sich untätig. Es tut nichts. Es greift nicht an. Es betreibt keine Übungen. Es reißt nicht einmal aus. Stattdessen hält es gänzlich still und harrt des Kommenden. Ich möchte doch zu gern wissen, wessen es denn wohl harrt.«
Mir ratloser Miene kehrte sich Adrina gen Norden. Anstatt eine bissige Antwort zu geben, wie es Mikel von ihr erwartete, zuckte sie lediglich die Achseln. »Ich habe keine Ahnung.«
»Sind vor Eurem Aufbruch irgendwelche Pläne beschlossen worden? Hat man sich auf irgendetwas geeinigt, das es erklären könnte, warum man ein dermaßen riesiges Heer für so lange Frist tatenlos im Feld lagern lässt?«
»Wüsste ich es, dann würdet Ihr es von mir erfahren. Im Kriegsrat ist im Wesentlichen bloß dummes Zeug geschwatzt worden, und welche Vorstellungen die Karier von einer Feldschlacht hegen, das wisst Ihr inzwischen. Kariens Herzöge werden nicht ihrer Kriegskünste halber gerühmt. Verfügt man über zahllose Männer, die man nach Belieben in den Kampf werfen kann, darf man auf derlei Feingeistigkeiten wohl verzichten.«
Mikel wusste nicht, ob er seinen Ohren trauen sollte. Das Gespräch klang … so traut.
»Kann es sein, dass die Herzöge dem Kronprinzen empfohlen haben, sich ins Abwarten zu schicken?«
Adrina hob die Schultern. »Vielleicht hat Herzog Rollo es ihm
Weitere Kostenlose Bücher