Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
Spitzenkissen, Stapel von Illustrierten, Treibhaustrauben und langstielige Rosen aus Cedarledge. Ihr letztes Aufgebot, nur noch Worte, bestand aus Sätzen wie: «Wenn ich es recht bedenke, kann ich eigentlich gar nichts ausrichten», oder: «Wenn ich nicht befürchten müsste, es würde sie aufregen», oder: «Manche Ärzte halten es ja für ansteckend», die zu dem unvermeidlichen Resümee führten: «Je weniger Besuch sie bekommt, desto besse r …»
    Nona wusste, dass es ihr nicht an physischer Beherztheit fehlte. Wäre Pauline die Frau eines Pioniers gewesen und ihre Familie wäre in der Wildnis krank geworden, sie hätte sie furchtlos gepflegt; aber sie hatte sich ihr Leben lang von Leid freigekauft oder seine Existenz geleugnet, und ihre seelischen Muskeln waren derart verkümmert, dass nur eine gewaltige Erschütterung ihnen zu alter Kraft verhelfen würde…
    «Eine gewaltige Erschütterung! Doch Menschen wie Mutter erleben keine gewaltigen Erschütterungen», dachte Nona mit einem Blick auf das unerschrockene Profil und das flott gewellte Haar im Spiegel des Frisiertischs. «Es sei denn, ich sorge dafü r …», fügte sie innerlich lächelnd hinzu.
    Mrs Manford legte ihre Puderquaste zurück in die Kristalldose. «Weißt du was, mein Schatz, ich glaube, ich begleite dich morgen in die Stadt. Es war sehr tapfer von Maisie, dass sie sich neulich hierherbemüht hat, aber natürlich möchte ich sie in einer solchen Zeit (wann ist die Operation – morgen?) nicht mit allzu vielen Einzelheiten belasten, und es gibt Dinge, um die ich mich durchaus selbst kümmern kann, ohne sie damit zu behelligen; sie braucht es gar nicht zu wissen. Ja, ich fahre morgen früh mit dir.»
    «Sie wird ihre Ängste immer an andere delegieren», dachte Nona nicht ohne Neid, während Cécile das paillettenbesetzte Kaminkleid über Mrs Manfords feste weiße Schultern gleiten ließ. Pauline schenkte ihrer Tochter ein zärtliches Lächeln. «Das ist typisch für dich, Nona, dass du während der Operation bei Maisie sein willst – ganz großartig, Liebes.» Stimme und Lächeln waren voll des Lobes, doch hinter dem Lob (auch das wusste Nona sehr wohl) lauerte die unausgesprochene Sorge: «Immer rennt sie hinter kranken und unglücklichen Menschen her – das wird sich doch nicht zu einem Beruf auswachsen?» Nichts hätte Mrs Manford abstoßender gefunden als den Gedanken, dass ihre einzige Tochter zwar gut, aber eben nichts anderes als gut war, etwa so wie die arme Aggie Heusto n … Nona hörte ihre Mutter murmeln: «Ich begreife nicht, woher sie das hat», als wäre von einem körperlichen Gebrechen die Rede, unerklärlich bei dem Abkömmling zweier kerngesunder Elternteile.
    Sie brachen frühzeitig auf, denn achtundvierzig Stunden Muße am Stück hatten Paulines angeborene Rührigkeit noch verstärkt. Amalasuntha war am Montag geheimnisvoll lächelnd und den Kopf schüttelnd über die nicht in Worte zu fassende Höhe von Klawhammers Angebot bereits früh in die Stadt zurückgehastet und hatte die Familie sich selbst überlassen – woraufhin es etwas eintönig wurde. Dexter wirkte rätselhaft gereizt, fand seine Frau, schien aber entschlossen, diese Gereiztheit vor ihr zu verbergen. Grund war zweifellos Michelangelo. Lita war schweigsam und schläfrig. Niemand schien etwas Besonderes vorzuhaben. Der Montag war selbst in der Stadt immer fade. Aber am Nachmittag kam Manford, um ihr Lita «abzunehmen», wie seine Frau es nannte, und mit ihr die mehrmals verschobene Spritztour im Buick zu machen, und Pauline versenkte sich in aller Ruhe in Gästelisten und andere häusliche Beschäftigungen. Es gab keinen Grund zur Beunruhigung und viel Grund zur Freude, dennoch fühlte sie sich schlapp und vage besorgt. Sie fragte sich allmählich, ob Alvah Lofts Behandlungserfolg überhaupt von Dauer war oder ob die Wirkung wie bei einem angebrochenen Medikament mit der Zeit nachließ. Vielleicht hatte der erwähnte Wissenschaftliche Spiritualist ein neues Wundermittel parat, das der Seele ebenso guttat wie der Haut. Sie würde ihn anrufen und einen Termin vereinbaren; es belebte sie immer, wenn sie sich auf einen neuen Therapeuten freuen konnte. Wie Mrs Swoffer sagte, sollte man sich keine Gelegenheit zu geistiger Kräftigung entgehen lassen, und man wusste nie, auf wen sich der Geist herabsenkte. Mrs Swoffers Äußerungen wirkten stets beruhigend und gleichzeitig erfrischend, und Pauline beschloss, auch sie zu besuchen. Und dann war da noch Arthur, der

Weitere Kostenlose Bücher