Dämmerschlaf - Roman
ihr schuldig, ihrer Meinung mehr Aufmerksamkeit zu schenken – einer Frau, deren Rede ein Dutzend Zeitungen veröffentlichen wollten! Und dann diese lästige Geschichte mit Michelangelo; noch so ein Problem, vor dem er sich hartnäckig drückte. Mutlosigkeit befiel Pauline. Was nutzten da eurythmische Übungen, kalte Duschen, mentale Tiefenatmung und all die anderen Wundermittel? Wenn es so weiterging, würde sie sich liften lassen müssen.
10
Es war zum Verzweifeln, wie dieses Vollard-Gör um ihn herumschlich und ihm schöne Augen macht e … Sie war fraglos die beste Schreibkraft im Büro, technisch perfekt, mit ein bisschen Französisch- und Italienischkenntnissen, die in sprachlichen Notfällen von Nutzen waren. Es kam nicht in Frage, sie auszutauschen. Aber abgesehen von ihrer Arbeit: Was für eine dumme Pute! Und immer – es ließ sich nicht leugnen, die ganze Kanzlei grinste schon –, immer fand sie einen Vorwand, um Manford zu stören: ein eiliges Ferngespräch, eine vergessene Unterschrift, eine letzte Frage, eine Nachricht von anderen Mitarbeitern. Sie wählte ihre Ausreden sehr geschickt. Und wenn sie ihn verließ, stand er mittlerweile immer auf, straffte die Schultern, betrachtete sich kritisch im Spiegel über dem Kaminsims und hasste sie noch mehr, weil sie ihn dazu brachte, sich so albern zu benehmen.
Ihr Vorwand heute Nachmittag war fadenscheiniger als sonst gewesen, wieder eine Sache, die gegen sie sprach. «Einer der Herren hat dies auf seinem Schreibtisch liegenlassen. Es ist ein Foto drin, das Sie amüsieren wird. Oh, Sie haben doch nichts dagegen, dass ich es Ihnen gebracht habe?», schmachtete sie.
Manford wollte gerade gehen, er hatte schon den Mantel an und Hut und Stock in der Hand. Er murmelte: «Oh, danke», und nahm den «Looker-on», um ihren Wortschwall abzukürzen. Ein Foto, das ihn amüsieren würde! Diese Kuh! Wahrscheinlich eine dieser sorgfältig komponierten «künstlerischen» Impressionen vom Park in Cedarledge. Er erinnerte sich, dass seine Frau den Fotografen des «Looker-on» im letzten Sommer erlaubt hatte, Aufnahmen zu machen. Sie hielt das für ihre Pflicht; es half vielleicht, auch andere Menschen für das Gärtnern (eines ihrer Hobbys) zu begeistern, und außerdem war es «undemokratisch», wenn man sich weigerte, die breite Masse an den eigenen «Privilegien» teilhaben zu lassen. Er kannte inzwischen all ihre Schlagworte und fragte sich mittlerweile, ob diese «Privilegien» ihr ohne eine breite Masse, die daran teilhatte, überhaupt etwas bedeuten würden.
Er klemmte sich die Zeitschrift unter den Arm und ließ sie eine halbe Stunde später in Lita Wyants Boudoir wieder fallen. So ruhig und dämmerig war es dor t … Er war fast froh, dass Lita noch nicht zu Hause war, obwohl ihn ihre Unpünktlichkeit manchmal ärgerte. Nach dem Gehetze und Getümmel des Tages empfand er es heute Abend als wohltuend, in diesem halbdunklen Raum auf sie zu warten, neben den Kissenbergen, die noch verrieten, wo sie gelegen hatte, und zwei sparsam beleuchteten Aronstäben in einer dunklen Vase. Wo immer Lita war, standen diese glatten, perfekt geformten Aronstäbe.
Auch wenn sie nun käme, würde diese Stille kaum gestört. Sie hatte etwas an sich, was den Eindruck von Stille in ihrer Gegenwart noch vertiefte; Lärm und Eile erstarben auf ihrer Schwelle. Heute Abend war es im ganzen Haus ruhig. Wie immer war Manford auf Zehenspitzen nach oben gegangen, um im abendlichen Kinderzimmer mit den kühlen, silbernen Wänden und den weißen Hyazinthen in den silbrig-funkelnden Töpfen einen Blick auf das Baby zu werfen. Das Kind schlief: ein runder, rosiger Herkules mit kampflustigen rötlichen Löckchen, die roten Händchen auf der Decke zu Fäusten geballt. Selbst die Kinderfrau neben der Lampe saß reglos und silberfarben da wie eine brütende Taube.
Ein Haus ohne festen Tagesablauf, Termine und Pflichten, in dem keine Uhr richtig ging und niemand zu spät kam, weil es für nichts vorgeschriebene Zeiten gab. Das war natürlich absurd und wahnsinnig unpraktisch – aber wie erholsam nach einem arbeitsreichen Tag! Und welch eine ans Wunderbare grenzende Leistung angesichts der strengen Abfolge von Verpflichtungen und Vergnügungen, die sonst in New York üblich war – just an dem Ort also, der zu Kollaps und Untergang verurteilt schien, falls seine Uhren jemals stillstehen sollten!
Diese späten Besuche hatten damit begonnen, dass Manford auf dem Weg nach Hause einen Blick auf das
Weitere Kostenlose Bücher