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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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ihrer aller Leben kreuzten, so wie man eine Erste-Hilfe-Station an der gefährlichsten Kurve einer Rennstrecke aufbaut oder einen Verkehrspolizisten ins Zentrum einer großen Kreuzung stellt.
    «Hör zu, Nona, meine Essenseinladung war erfunden. Würde der Himmel einstürzen, wenn du und ich allein irgendwo essen gingen, einfach so?»
    «O Sta n …» Ihr Herz tat vor Glück einen Sprung. Wer hätte geglaubt, dass in diesen freizügigen Zeiten, wo die jungen Leute nach Belieben taten, was sie wollten, diese beiden sich noch nie einen Abend gestohlen hatten? Vielleicht weil es allzu leicht gewesen wäre. Nur Schwieriges führte Nona in Versuchung, und das Schwierige war, immer «Nein» zu sagen.
    Doch war es das wirklich? Als das Licht einer Straßenlampe über Heustons Profil strich, warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu, sah die zusammengekniffenen Lippen, allzeit bereit, spöttisch auf ihre Weigerung zu reagieren, und fragte sich, ob das ständige Neinsagen so viel Mut erforderte, wie sie immer glaubte. Was, wenn hinter ihrer hochmütigen Überlegenheit nur moralische Feigheit steckte? Sie wollte nicht «wie die anderen» sein – aber war das etwas, worauf man stolz sein konnte? Vielleicht war ihre Selbstlosigkeit nur eine raffinierte Form von Eitelkeit, nicht unähnlich, sagen wir, Litas Nein, wenn eine Freundin ihre neuen Kleider nachschneidern lassen wollte, oder Bee Lindons unersättlichem Verlangen, eine schon skandalgesättigte Welt immer aufs Neue vor den Kopf zu stoßen. Alles Exhibitionisten, samt und sonders, wie die Psychoanalytiker sagten, und in ihrer derzeitigen Stimmung schien ihr der seelische Exhibitionismus die ekelhafteste Form, sich zur Schau zu stellen.
    «Wie viktorianisch, Stan!», sagte sie lachend. «Als ob es noch einen Himmel gäbe, der einstürzen könnte! Wo sollen wir hingehen? Das wird sehr lustig. Gibt es hier in der Nähe nicht ein gutes kleines italienisches Restaurant? Und danach schauen wir uns diese Negerrevue im ‹Housetop› an.»
    «Dann komm!»
    Sie fühlte sich klein und leicht wie ein Strohhalm, der in die rauschende Dunkelheit eines von Millionen Sternen beglitzerten Meeres hinausgetragen wird. Schon der Gedanke an einen Abend in liebevoller Atmosphäre, einen Abend in schlichter Kameradschaft, brachte das fertig, gab ihr die Jugend zurück und verlieh ihr den Mut, durchzuhalten. Sie schob ihre Hand durch seinen Arm und erkannte an seinem Schweigen, dass er ihre Gedanken teilte. Das machte den Zauber vollkommen.
    «Du möchtest wirklich ins ‹Housetop› gehen?», fragte er und lehnte sich so gemächlich zurück, um seine Zigarre anzuzünden, als gäbe es nie mehr einen Grund, sich wegen irgendetwas zu beeilen. Das Abendessen in dem kleinen italienischen Restaurant lag hinter ihnen. Gewissenhaft hatten sie die Geheimnisse von paste, frutti di mare, fritture samt Käse- und Tomatensaucen erkundet und das Ganze mit einer schäumenden Zabaione abgeschlossen. Der Raum war niedrig, überhitzt und voller fröhlicher, lauter Gäste, zumeist Italiener, die ein olivenhäutiger Musiker mit bläulich weißen Augäpfeln hie und da dezent mit Trillern und Geklimpere traktierte. Seine Musik unterbrach die Gespräche nicht, sondern zwang die Gäste nur, etwas lauter zu schreien, ein Vorwand, den sie freudig nutzten. Anfangs hatte Nona den Lärm als willkommenen Schutz für ihr Gespräch mit Heuston empfunden, aber nun nahm er ihr allmählich den Atem. «Lass uns erst ein wenig frische Luft schöpfen», bat sie.
    «Gut. Gehen wir ein bisschen spazieren.»
    Sie schoben die Stühle zurück, schlängelten sich zwischen den voll besetzten Tischen hindurch, hüllten sich in ihre Mäntel und traten aus der Schwingtür hinaus in lange, wässrige Streifen von Laternenlicht. Eine Dusche aus kaltem Regen empfing sie.
    «Ach, du liebe Zeit – dann also ins ‹Housetop›!», brummte Nona. Wie köstlich wäre dieser Regen unter den knospenden Bäumen von Cedarledge gewesen! Aber hier, in diesen heruntergekommenen Straße n …
    Heuston hielt ein Taxi an. «Erst eine kleine Runde, einfach so durch den Park?»
    «Nein, ins ‹Housetop›.»
    Er lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. «Du weißt, dass ich mich scheiden lasse. Es ist alles geregelt», verkündete er.
    «Geregelt – mit Aggie?»
    «Nein, noch nicht. Aber mit der Dame, mit der ich durchbrenne. Mein Ehrenwort. Ich mache es, nächste Woche.»
    Nona lachte ungläubig. «Dann ist das also ein Abschied?»
    «So etwas

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