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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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hilft. Seine Schulden, Liebes, die Schulden meines dummen Jungen! Dexter hat versproche n … er hat mich ermächtigt, ihm zu telegraphieren, dass er nicht herüberkommen muss, da alles bezahlt wird. Das ist mehr, weit mehr, als ich jemals habe hoffen können!» Die glückliche Mutter bemächtigte sich Mrs Manfords teilnahmsloser Hand.
    Brüsk befreite Pauline ihre Hand. Diese Neuigkeit musste sie so schnell wie möglich schlucken und verdauen, und das, ohne übermäßige Verwunderung zu verraten oder selbst Verantwortung zu übernehmen; doch diese Anstrengung ging über ihre Kräfte, und sie konnte nur dasitzen und vor sich hin starren. Dexter hatte versprochen, Michelangelos Schulden zu bezahlen – mit wessen Geld nur? Und warum?
    «Ich bin überzeugt, dass Dexter tut, was er kann, um dir und Michelangelo zu helfen – wir beide tun das. Abe r …»
    In Paulines Kopf drehte sich alles, sie vermochte nicht weiterzusprechen. Sie wusste auswendig, wie hoch Michelangelos Schulden waren. Dafür hatte Amalasuntha schon gesorgt. Anscheinend erfüllte das Ausmaß sie mit einer Art von dummem Stolz, und sie lag ihrer Cousine ständig damit in den Ohren. Wenn Dexter das wirklich versprochen hatte, musste er es im Namen seiner Frau getan haben, und so etwas zu versprechen, ohne sie zu fragen, sah ihm gar nicht ähnlich. Dieser Gedanke verwirrte sie noch mehr. «Bist du sicher? Entschuldige, Amalasuntha – aber das kommt etwas überraschend. Dexter und ich müssen die Sache erst besprechen, um zu sehen, was man tun kan n …»
    «Liebste, das sieht dir ähnlich, dass du deine Großzügigkeit kleinredest – das machst du immer! Und Dexter auch. Aber in diesem Fal l … Schau, das Telegramm ist schon abgeschickt, warum also leugnen?», triumphierte die Marchesa.
    Als Maisie Bruss zurückkehrte, saß Pauline immer noch mit dem Stift in der Hand untätig vor dem Stapel von Rechnungen und Kostenvoranschlägen. Mit leerem Blick starrte sie ihre Sekretärin an. «Diese Dinge müssen warten. Ich bin entsetzlich müde, ich weiß auch nicht, warum. Aber ich werde sie morgen in aller Frühe durcharbeiten, bevor Sie kommen. Un d … ich frage Sie das sehr ungern, Maisie, aber könnten Sie vielleicht schon um acht Uhr hier sein statt um neun? Es gibt so viel zu tun, und ich möchte, dass Sie so bald wie möglich nach Cedarledge fahren.»
    Maisie, ein wenig bleicher und abgespannter als sonst, erklärte, dass sie natürlich um acht Uhr erscheinen werde.
    Auch als sie fort war, rührte sich Pauline nicht von der Stelle, warf keinen Blick auf die Papiere. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das dumpfe Gefühl, sich inmitten unbegreiflicher, übermächtiger Kräfte zu bewegen. Sie selbst hätte es nicht so klar formulieren können – sie spürte nur undeutlich, dass sich etwas Verworrenes, Undurchdringliches zwischen sie und ihren entschlossenen Umgang mit der Wirklichkeit drängte. Non a … Ob sie Nona um Rat fragen sollte? Es kam ihr manchmal vor, als habe ihre Tochter die unheimliche Gabe der Weissagung, als erfasse sie gewisse Geheimnisse in Stimmung und Charakter schneller und deutlicher als ihre Mutter. «Doch wenn es ums Praktische geht, taugt das arme Kind nicht mehr als Ji m …»
    Jim! Sein Name beschwor auch den zweiten, mit ihm verbundenen herauf. Lita machte ihr mittlerweile große Sorgen. Wohin Pauline auch blickte, überall umgab sie die gleiche erstickende Düsternis. Selbst um Jim und Lita lag ein zäher, dichter Nebel, der verfinsterte und entstellte, was bis vor Kurzem noch nach heller häuslicher Harmonie ausgesehen hatte. Geld, Gesundheit, gutes Aussehen, ein süßes Kind – und jetzt dieses ganze Theater mit der Selbstverwirklichung. Ja, Litas Verhalten war genauso verwirrend wie das von Dexter. Versuchte auch Dexter, sich selbst zu verwirklichen? Wenn die anderen nur offen mit ihr reden, sich ihr verständlich machen würden, statt sie im Dunkeln zu umkreisen wie Einbrecher mit Blendlaternen! Diese Metapher ließ ihre Aufmerksamkeit schlagartig zu den Kostenvoranschlägen für Cedarledge zurückkehren, müde rückte sie ihre Brille zurecht und nahm den Stift zur Hand.
    Das Mädchen klopfte. «Welches Kleid bitte, Madam?» Natürlich, sie dinierten ja heute Abend bei Walter Rivington und seiner Gattin. Die Rivingtons hatten Pauline zum ersten Mal seit ihrer Scheidung von Wyant eingeladen; Mrs Rivingtons Haus war das einzige, in dem sich die schwindenden Werte des alten New York noch hartnäckig hielten und

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