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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Blättern auf dem Schreibtisch gefolgt. «Willst du wirklich bei dem Bankett für die Geburtenregelung den Vorsitz übernehmen, Mutter?»
    «Den Vorsitz? Warum nicht? Schließlich bin ich die Präsidentin», antwortete Pauline mit einem leisen Anflug von Schärfe.
    «Ich weiß. Nu r … neulich bist du für unbegrenzten Familienzuwachs eingetreten. Kommen diese beiden Reden nicht etwas schnell hintereinander? Am Ende machst du dich noch zum Gespött der Presse, wenn sie dich in parallelen Spalten abdrucken.»
    Pauline spürte, wie sie erblasste. Sie kniff die Lippen zusammen, und einen Augenblick war ihr, als trübte sich ihr Verstand. Dieses Mädche n … es war doch grotesk, dass sie nicht begriff! Und immer wollte sie auf der Stelle Gründe und Erklärungen haben! Dass man sich unter dem eigenen Dach ständig solche Verhöre gefallen lassen musst e … Nichts verabscheute sie so sehr wie Fragen, auf deren Beantwortung sie sich nicht hatte vorbereiten können. «Ich glaube, manchmal verstehst du nicht ganz, Nona.» Es waren schwache Worte, aber es waren die erstbesten, die ihr einfielen.
    «Das fürchte ich auch, Mutter.»
    «Dann solltest du vielleicht – nur ein Vorschlag – nicht ganz so schnell mit Kritik bei der Hand sein. Du scheinst es für einen Widerspruch zu halten, beiden Gruppierungen anzugehöre n … beiden Gedankenrichtunge n …»
    «Sie widersprechen einander doch.»
    «Nein, eigentlich nicht. In ihren Grundsätzen unterscheiden sie sich natürlich, aber sie spreche n … sie sprechen unterschiedliche Kategorien von Menschen an. Es ist etwas schwierig, das einem so jungen Menschen wie dir zu erkläre n … ein Mädchen kann natürlich nicht wisse n …»
    «Ach, was wir Mädchen nicht alles wissen, Mutter!»
    «Gut, Liebes. Ich war immer für Offenheit in diesen Dingen. Wirklich schmutzig ist nur die Heimlichtuerei. Trotzdem, Alter und Erfahrung lehren einen doch manche s … die Kinder sollten nicht erwarten, alle Beweggründe der Älteren zu verstehen.» Das klang entschieden und dennoch freundlich, und als sie weitersprach, hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen. «Ich wollte, es wäre genug Zeit, das alles eingehend mit dir zu besprechen, aber wenn ich meine heutigen Termine einhalten und außerdem noch ein Gespräch mit Lita dazwischenschieben wil l … Maisie! Rufen Sie bitte Mrs Jim an?»
    Maisie antwortete aus dem angrenzenden Zimmer: «Unten wartet die Abordnung des Vereins zur Entdeckung von Genies, Mrs Manfor d …»
    «Oh, natürlich! Das ist eine ziemlich wichtige Bewegung, Nona, etwas Neues. Ich glaube, Genies sollte man hilfreich unter die Arme greifen. Der Verein bereitet gerade seinen ersten Auftritt vor; ich habe durch die wunderbare Mrs Swoffer davon erfahren. Hast du nicht Lust, mit mir hinunterzugehen und die Abordnung zu begrüßen? Nei n …? Manchmal glaube ich, du wärst glücklicher, wenn du dich ein wenig mehr für andere Menschen interessieren würdes t … für all die großen humanitären Bewegungen, die einen so stolz darauf machen, Amerikaner zu sein. Findest du es nicht auch herrlich, dem einzigen Land anzugehören, in dem jeder Mensch absolut frei ist? Und trotzdem sind wir alle gehalten, genau das zu tun, was für uns am besten ist. Das sage ich auch irgendwo in meiner Red e … Gut, ich werde noch vor dem Abendessen mit Lita sprechen, mein Ehrenwort; was auch geschieht, ich werde sie dazwischenschieben. Und du und Jim, ihr braucht nicht zu befürchten, dass ich etwas sage, was sie gegen uns aufbringt. Das hat mir dein Vater schon eingeschärft. Schließlich habe ich stets Respekt vor der Persönlichkeit eines jeden Menschen gepredigt. Allerdings muss Lita nun auch die von Jim respektieren.»
    Erfrischt von einer anregenden Begegnung mit Mrs Swoffer und den Genieförderern, vermochte Pauline dem Treffen mit ihrer Schwiegertochter lächelnd und gefasst entgegenzusehen. Jeder Kontakt mit den menschenfreundlichen Bewegungen, durch die sich ihr Vaterland so deutlich vom selbstsüchtigen Laisser-faire und der spöttischen Gleichgültigkeit Europas abhob, erfüllte sie mit neuem Optimismus und ließ ihre privaten Sorgen in einem beruhigenderen Licht erscheinen. Amerika hatte offenbar tatsächlich auf alles eine umgehende Antwort, von der Behandlung Geistesgestörter bis zur Erklärung der tiefsten religiösen Geheimnisse. Wie sollten in solch einer Atmosphäre des simplen Zupackens die eigenen Probleme ungelöst bleiben? «Das Wichtigste ist, daran zu

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