Daemmerung der Leidenschaft
bloß nicht aufhören. Aufhören hätte er beim besten Willen nicht gekonnt.
Diese Bilder machten ihn schon seit zehn Tagen ganz verrückt, raubten ihm den Schlaf, störten ihn bei der Arbeit. Als er sie heute wiedersah, traf ihn schlagartig der Gedanke, daß sie ihm gehörte. Sie war sein, und er wollte sie. Er begehrte sie so sehr, daß seine Hände zu zittern angefangen hatten. Nur unter Aufbietung seiner gesamten Willenskraft konnte er sich daran hindern, die paar Stufen zu ihr raufzuspringen, sie am Arm zu packen und zum nächsten leeren Schlafzimmer zu dirigieren, egal welches, wo er ihr den Rock hochziehen und sich wieder in ihr vergraben wollte.
Er hatte sich nur aus einem einzigen Grund zurückgehalten. Roanna hatte ihren inneren Schutzwall sorgfältig wieder aufgebaut. Aber jede Festung besaß einen Schwachpunkt, und er wußte genau, wo ihrer lag.
Bei ihm.
Gegen jeden anderen konnte sie sich abgrenzen, nur nicht gegen ihn.
Sie hatte gar nicht erst versucht, es zu verbergen oder zu leugnen. Mit niederschmetternder Ehrlichkeit hatte sie zugegeben, daß er nur mit dem Finger zu schnippen brauchte und sie würde angerannt kommen. Sie wäre ihm die Treppe hinauf gefolgt und hätte ihn alles mit sich machen lassen, was er wollte.
Webb trommelte mit den Fingern auf das glühende Lenkrad. Es schien, als ob er noch einen Drachen für Roanna würde besiegen müssen, und das war sein eigenes Verlangen nach ihr.
Er hatte ihr gesagt, daß er heimkommen würde, wenn sie ihm im Gegenzug ihren Körper anbot, und sie hatte ohne Zögern eingewilligt. Wenn er sexuell Dampf ablassen mußte, dann stände sie ihm zur Verfügung. Sie tat es für Lucinda, für Davenport, für ihn – aber was war mit ihr?
Er wußte, daß er jederzeit in Roannas Zimmer marschieren und sie sich nehmen konnte, und die Versuchung nagte jetzt schon an ihm. Aber er wollte nicht, daß Roanna aus Schuld oder Pflicht oder gar aus irregeleiteter Heldenverehrung mit ihm ins Bett ging. Er war kein Held, verdammt nochmal, sondern ein Mann. Sie sollte ihn als Mann begehren, als männliche Ergänzung zu ihrer Weiblichkeit. Wenn sie in sein Bett kam, nur weil sie geil war und sich nach der Befriedigung sehnte, die er ihr verschaffen konnte – nun, auch darüber würde er sich freuen, ja entzückt sein; denn dieses Motiv war simpel und unkompliziert.
Und wie stand es mit seinen eigenen Motiven?
Er blinzelte, weil ihm der Schweiß in die Augen rann und brannte. Mit einem unterdrückten Fluch startete er den Motor und damit auch die Klimaanlage, deren Gebläse sich sofort lautstark bemerkbar machte. Wahrscheinlich traf einen der Hitzschlag, wenn man mitten im Sommer in einem geschlossenen Wagen saß und versuchte, sich über seine Gefühle klarzuwerden.
Seine Liebe hieß Roanna, sein Leben lang hatte er sie geliebt – aber wie eine Schwester: mit amüsierter Nachsicht und brüderlichem Beschützerinstinkt.
Auf das heftige, überwältigende Aufflammen körperlicher Leidenschaft war er nicht gefaßt gewesen, als sie ihm damals, vor zehn Jahren, die Arme um den Hals geworfen und ihn geküßt hatte. Aus dem Nichts überfiel sie ihn, diese Leidenschaft – wie ein Wirbelsturm, der eingeschlossen gewesen war, bis er seinen Höhepunkt erreichte, um dann mit einem Mal in einen Rausch auszuarten. Es hatte ihn zutiefst erschüttert, heftige Schuldgefühle plagten ihn. Alles an der Sache hing schief. Sie war viel zu jung, für ihn immer wie eine kleine Schwester, und er war verheiratet, zum Teufel nochmal. Die eigentliche Schuld ging auf sein Konto. Auch wenn seine Ehe praktisch nicht mehr existierte, so war er immer noch verheiratet gewesen. Und er besaß die Erfahrung; er hätte aus dem Kuß auf sanfte Weise eine Geste mit impulsiver Zuneigung machen müssen, irgendwas, das sie nicht in Verlegenheit gebracht hätte. Statt dessen hatte er sie fester an sich gezogen und den Kuß vertieft, einen Kuß, wie ihn sich nur Erwachsene gaben, aufgeladen mit Sexualität. Was passiert war, hatte er auf seine Kappe zu nehmen, nicht Roanna, die sich immer noch damit herumschlug.
Die meisten der ursprünglichen Barrieren, die einer sexuellen Beziehung zwischen ihm und Roanna im Weg standen, gab es nicht mehr. Roanna war jetzt eine erwachsene Frau, er Witwer; und er konnte beim besten Willen nicht behaupten, daß er noch brüderliche Gefühle für sie hegte. Doch jetzt bestanden andere Hindernisse: die Familie, Roannas Pflichtgefühl, sein Stolz.
Mit einem verächtlichen
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