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DAEMON

DAEMON

Titel: DAEMON Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Suarez
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Provision gekürzt, und wenn ihm die Provision gekürzt wurde, verdiente er pro Abschluss weniger. Und wenn er pro Abschluss weniger verdiente, war die Arbeit noch genauso stressig und langweilig, aber es kam weniger dabei herum. Und wer oft genug keine Leistung brachte, war seine Arbeit los und wieder Teil der stupiden Masse.
    Er bekam so gut wie nichts dafür. Warum hing er an dem Job?
    Er wusste, warum er dran hing. Er mochte es, die Stimmen zu hören. Er mochte es, mit Frauen von überallher zu reden, seine magische Wirkung zu entfalten und die Frauen dazu zu bringen, «es zu tun». Auch wenn «es» nur darin bestand, einen Anteil an einem Time-Share-Apartment oder ein Zeitschriftenabo zu erwerben. Das musste ihm eben genügen. Es war die einzige Möglichkeit, seine Menschenwürde zu bewahren. Und im Gefängnis war das eine Menge wert.
    Charles Mosely bekam den Abschluss – ein Zweijahres-Abo der Zeitschrift
Uptown
– und ignorierte es, als die Frau ihm ihre E-Mail -Adresse gab. Sie würde sich freuen, von ihm zu hören. Mosely verdrehte die Augen. Verdammt, ganz egal wie sie aussah – er hätte auch gern Kontakt mit ihr aufgenommen. Aber in Highland war kein Internetzugang erlaubt. Er blickte über den Raumteiler von Platz 166 hinweg, auf eine endlose Reihe weiterer winziger Stahlzellen. Das nur mäßig gedämpfte Gebrabbel von hundert Telefonverkaufskräften in orangefarbenen Overalls drang an sein rechtes Ohr – auf dem kein Headset saß. Auf einem Steg über ihm patrouillierte hinter einem Schutzgitter aus Stahlmaschendraht ein unbewaffneter Aufseher.
    Warmonk Incorporated, die dem Gefängnis von Highland,Texas, angeschlossene Telemarketing-Firma, war ein Privatunternehmen, das einen Vertrag mit der texanischen Kriminaljustizbehörde hatte. Es war mit dem gleichnamigen Hochsicherheitsgefängnis durch eine geschlossene Fußgängerbrücke verbunden. Die Plackerei der Häftlinge diente angeblich dazu, die Kosten ihrer Inhaftierung zu decken. Mit einem Stundenlohn von dreißig Cent machten die Gefangenen den indischen Call-Center-Agenten ordentlich Konkurrenz.
    Wie fast jeder zweite Gast des texanischen Justizvollzugs war Mosely schwarz. Häftling Nr.   1131900 war sein neuer Name, und er hatte von der Fünfundzwanzig-Jahre-bis-lebenslänglich-Haftstrafe, die ihm die dritte Verurteilung wegen Drogenhandels eingetragen hatte, vier Jahre abgesessen. Er war nicht unschuldig, aber die normale Karriereleiter hatte nun mal nicht bis in sein Viertel herabgereicht. Und er war ein ehrgeiziger junger Mann gewesen. Ehrgeizig und tough. Er hatte immer schon eine Crew laufen gehabt, noch vor der Highschool, und er war immer derjenige gewesen, der Sachen erkannt hatte, die anderen entgingen. Derjenige, der wusste, wie andere tickten.
    Jetzt, mit über dreißig, dachte er oft an die Leute, denen er Leid zugefügt, deren Leben er zerstört hatte. Wobei natürlich jemand anders seinen Platz eingenommen hätte – ja, ihn inzwischen zweifellos eingenommen
hatte
. Damals hatte er mehr Geld gemacht, als die meisten Leute je zu sehen bekommen würden, aber das war jetzt alles Vergangenheit. Wenigstens hatte er aus dem Vollen gelebt, als sich die Chance dazu bot, was mehr war, als sein Vater je geschafft hatte. Er war eine pervertierte Karikatur des amerikanischen Traums.
    Aber Mosely hatte ja auch nie damit gerechnet, so alt zu werden, und nachdem er immer gelebt hatte, als gäbe es kein Morgen, fiel es ihm jetzt schwer, mit der lebenslangen Kettevon Morgen und wieder Morgen, die jetzt vor ihm lag, klarzukommen.
    Er hatte nicht enden wollen wie sein Vater, gebrochen und ohnmächtig sich über die Zustände beklagend. Mosely stand zu seinen Entscheidungen – den schlechten wie den guten   –, und wenn er sich nochmal entscheiden könnte, er würde es wahrscheinlich genauso machen. Die Welt war nun mal, wie sie war, und nachdem ihm seine Alternativen vor Augen geführt worden waren, hatte er sich für das kurze, aufregende Leben entschieden, nicht für das elende Abrackern bis zu einem entwürdigenden Tod. Aber jetzt lebte er immer noch und war hier, eine Art Methusalem, ein abschreckendes Beispiel für die jüngeren Gefangenen.
    Er ging damit um, wie er bisher mit allem umgegangen war – indem er ganz in der Gegenwart lebte, dem, was
jetzt
war. Die Stimmen halfen ihm dabei. In seiner neuen Welt geschrumpfter Erwartungen war das schon das Beste, was er sich erhoffen konnte.
    Die nächste Verbindung war da. Normalerweise

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