DAEMON
Journalistin. Wenn man mit dreißig noch nicht als Hardnews-Journalistin etabliert ist, wird man auch keine mehr.»
Anderson nagte sachte an ihrer Unterlippe. Vor dem richtigen Mann vollführt, hatte dieser Trick schon eine Menge Probleme gelöst. Ihr wurde bewusst, dass Christiane Amanpour von CNN vermutlich nicht an ihrer Unterlippe nagte.
«Leider konzentrieren die großen Sender derzeit ihre Nachrichtenproduktion in Atlanta und sparen ansonsten die meisten Arbeitsplätze ein. Ich könnte versuchen, Ihnen etwas bei einem Kosmetik-Infomercial-Sender in L. A. zu organisieren.»
Tränen liefen Anderson über die Wangen.
7 Daemon
Yahoo.com/news
E-Mord @ VideoGameCompany – Thousand Oaks, Kalifornien: Nachdem bereits in einem anderen Todesfall außerhalb des Firmengeländes der Verdacht auf Mord besteht, fiel am Donnerstag ein weiterer Angestellter des Spieleentwicklers CyberStorm Entertainment einer über das Internet aktivierten Todesfalle zum Opfer. Der Programmierer Chopra Singh , führend an der Entwicklung des erfolgreichen Online-Rollenspiels
The Gate
beteiligt, kam im Firmengebäude durch einen Stromschlag ums Leben. Chefermittler Pete Sebeck von der Abteilung Schwerverbrechen des Sheriff’s Department von Ventura County bestätigte der Presse gegenüber, dass beide Tötungsdelikte über das Internet ausgelöst wurden.
Sebeck starrte bereits an die Decke, als sein Wecker ertönte. Er stellte ihn ab, ohne den Blick von der Decke zu wenden. Er war am Vorabend spät ins Bett gekommen, hatte aber trotzdem nicht einschlafen können. Immer wieder war ihm der Fall durch den Kopf gegangen. So nannte er es inzwischen:
der Fall
.
Das FBI hatte übernommen. Zwar wurde gerade eine Sonderkommission mit der lokalen Polizei gebildet, aber das Kommando hatten die Feds. Als Sebeck um zwei Uhr morgensgegangen war, hatten Agenten noch immer Akten fotokopiert und Verdächtige befragt. Decker war offenbar Workaholic.
Sebeck spürte seinem Verlustgefühl nach.
Der Fall
war nicht mehr seiner. Warum machte ihm das so viel aus? Er fürchtete, die Antwort zu kennen: Er fühlte sich nur dann wirklich lebendig, wenn etwas Schreckliches im Gang war. Das war das schmutzige Geheimnis, das hinter all seinen bisherigen Beförderungen steckte.
Er war eine Fehlbesetzung in seiner selbstverordneten Rolle als Autoritätsperson. Eine Entscheidung, die an einem Nachmittag vor fünfzehn Jahren gefallen war. Damals – nach dem Baby – hatte er schnell erwachsen werden müssen, aber jetzt fragte er sich manchmal, ob er nicht nur so tat. Ob er sich nicht einfach nur so verhielt, wie er sich verhalten zu müssen glaubte. Wie sich die anderen um ihn herum verhielten. Er wusste gar nicht, wer er ohne diese Rolle wäre. Pete Sebeck war nur ein Konstrukt – ein Haufen Pflichten mit einer Mailadresse.
Er versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal wirklich etwas
empfunden
hatte. Sich das letzte Mal lebendig gefühlt hatte. Das zog unweigerlich Gedanken an
sie
nach sich. Erinnerungen an den Trip nach Grand Cayman. Er versuchte sich den Geruch ihres Haars zu vergegenwärtigen. Er fragte sich, wo sie jetzt wohl war und ob er sie je wiedersehen würde. Sie brauchte ihn in keiner Weise. Vielleicht war es ja das, was er an ihr am meisten liebte.
Sebecks Handy klingelte auf dem Nachttisch und riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah zu seiner Frau hinüber. Sie regte sich leise. Er schnappte sich das Handy und setzte sich auf. «Sebeck.»
«Detective Sebeck?»
«Ja. Wer –»
«Hier ist Special Agent Boerner, FBI. Ich habe Ihnen gerade eine E-Mail an Ihre Privatadresse geschickt. Der leitende Agent möchte eine Antwort, noch ehe Sie heute Morgen zum Dienst kommen.» Im Hintergrund rief jemand etwas. Ohne sich zu verabschieden, legte Boerner auf.
«Hallo?» Sebeck starrte das Handy ärgerlich an. Ungehobeltes Arschloch. Er sah auf die Digitalanzeige des Weckers: 6.32 Uhr.
Seine Frau setzte sich in der anderen Betthälfte auf. Sie trug eines ihrer langen Nachthemden. Sie streckte sich.
«Laura, ich muss zuerst ins Bad. Ich habe heute einen vollen Tag.»
«Okay, Pete.»
«Dauert nicht lange. Schlaf noch eine Runde.»
Sebeck wickelte seine Morgentoilette in fünfzehn Minuten ab, zog sich an und band sich auf dem Weg nach unten die Krawatte. Dann betrat er die Küche.
Sein Sohn Chris saß am Tisch und las die Morgenzeitung. Der Junge wurde richtig breit – muskulös. Sechzehn. Fast so alt, wie Sebeck gewesen war,
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