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Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)

Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition)

Titel: Dämon, Dämon an der Wand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim C. Hines
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verlieren, so wie sie ihn verloren hat. Angst davor, diesen Schmerz noch einmal zu empfinden.«
    »Ich gehe nicht so leicht verloren.«
    »Das ist mir schon aufgefallen.« Gerta legte ihre Hand über die Talias und verschränkte ihrer beider Finger ineinander. »Schau mich an, Talia. Was siehst du?«
    Talia blickte nach oben. Das Licht, das Gerta beschworen hatte, leuchtete immer noch schwach von ihrer rechten Hand. Ihr rotes Haar hing in wirren Wellen herab, dichter als das von Schnee, aber es fiel auf die gleiche Art. Ihre blasse Haut war schmutzverschmiert. Ihre braunen Augen waren unentwegt auf Talia gerichtet – Augen, die viel von derselben Traurigkeit wie diejenigen Schnees ausstrahlten, nur dass Schnee selten jemandem erlaubte, diese zu sehen. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Du siehst mich an, und du siehst sie . Denn ich bin bloß eine Illusion, und irgendwann wird der Zauber zerbrechen und Schnee wird herauskommen, wieder in einem und wohlauf.« Sie ließ die Fingerspitzen über Talias Arm wandern. »Sie hat mich aus den Erinnerungen an eine Schwester erschaffen, die nie existiert hat. Bin ich nur ein Behälter ihrer Träume? Bin ich eine Waffe, um sie gegen sie einzusetzen? Ich weiß es nicht mehr, Talia. Aber was ich empfinde, wenn ich an dich denke, wenn ich deine Stimme höre … wenn ich dich berühre … das ist real.«
    »Es wäre gescheiter, Vater Isaac diese Fragen zu stellen«, sagte Talia. »Selbst unsere zweiköpfige Freundin weiß mehr über Zauberei als …«
    »Zauberei ist mir egal! Ich will wissen, was – wen du siehst, wenn du mich anschaust.« Tränen fielen auf Talias Brust. »Ich will, dass du mich siehst.«
    Hatte Schnee je vor ihr geweint? Instinktiv wollte Talia die Hand ausstrecken und ihr Gesicht berühren, aber das Eis hielt sie fest. »Ich sehe sie. Die Art, wie du mir eine Standpauke hältst. Die Aufregung und die Angst in deinen Augen, wenn du zauberst, deine Stirn, die vor Konzentration in Falten liegt, deine Zähne, mit denen du an den Lippen knabberst.«
    Gerta wandte den Blick ab, aber nicht schnell genug, um den Schmerz zu verbergen, den Talias Worte ihr verursachten. »Es ist berauschend, die Gesetze des Universums umzuschreiben.«
    »Nicht für dich«, sagte Talia. »Du liebst es nicht auf dieselbe Weise wie sie.«
    »Es macht mir Angst«, gab Gerta zu. »Wenn ich durch Magie erschaffen wurde, dann kann ich auf dieselbe Art vernichtet werden. Ich frage mich immer wieder, wann das Universum merken wird, dass ich eigentlich nie existieren sollte, und Schritte unternimmt, um diesen Fehler zu korrigieren.«
    »Du bist nicht sie«, sagte Talia leise. »Schnee hätte Witze darüber gemacht, dass das Universum voller Fehler steckt, wie Mantikore.«
    »Na ja, du musst zugeben, das sind schon bizarr aussehende Wesen«, erwiderte Gerta mit dem Anflug eines Lächelns.
    »Ich habe sie immer um ihre Fähigkeit beneidet, im Angesicht der Gefahr zu scherzen. Wut, Angst – sie ließ sich nie davon beherrschen.«
    »Schnee wäre nicht davongelaufen.« Gerta starrte in die Dunkelheit.
    »Sie hätte mir auch nicht erzählt, was sie für mich empfindet.« Talia zitterte. Sie hatte das Gefühl, als dringe die Kälte bis in ihre Knochen vor. »Mut kommt in verschiedenen Formen vor.«
    »Vielleicht bin ich einfach nicht so klug wie sie.«
    »Geh nicht so streng mit dir ins Gericht – du bist ja erst zwei Wochen alt!«
    Das trug ihr ein Lachen ein, ähnlich dem Schnees, nur irgendwie … unbeschwerter. Freier. Gerta rückte ein Stück von ihr ab. »Sehe ich denn auch wie ein Säugling aus?«
    »Nein«, antwortete Talia leise.
    Wieder streckte Gerta die Hand aus; diesmal streiften ihre Fingerspitzen Talias Lippen. Ihre Finger trugen den Geschmack nach Salzwasser. Sie berührten Talias Kinn und glitten hinunter zum Hals.
    Reflexartig ballte Talias Hand sich zur Faust und riss sich vom Eis los.
    Gerta schrak zurück. »Es tut mir leid! Ich hätte nie …«
    »Ich weiß.« Talias Stimme bebte. »Ich bin nicht gern hilflos.«
    Gerta verschränkte die Hände im Schoß. »Und ich kriege nicht gern gesagt, mein einziger Daseinszweck ist es, zu sterben.«
    Talia schloss die Augen; sie war in Versuchung, zu lügen, aber Gerta hätte ihr nie geglaubt. »Ich kann Schnee nicht so lassen. Selbst wenn es bedeutet …«
    Gerta fuhr sich über die Augen. »Ich weiß. Ich kann es auch nicht. Sie ist meine Schwester.«
    Die Kälte drang immer tiefer in Talia ein; inzwischen zitterte sie unentwegt.

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