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Dämon

Dämon

Titel: Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Delaney
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sich den Hörer ans Ohr. Was hatte das zu bedeuten? Weitere Geräusche waren im Hintergrund zu hören – ein schwaches, leises Blubbern. Wie ablaufendes Wasser in einem Spülbecken oder einer Wanne. Oder wie jemand, der leise weinte.
    »Ich habe sie immer noch«, sagte Dr. Wu.
    »Was haben Sie noch?«, fragte Jefferson.
    »Die Augenlider von Josh Commons. Ich trage sie bei mir. Ich werfe nie etwas weg, das ich abgeschnitten habe«, sagte Wu.
    Die Stimme klang spöttisch, tiefer, und rasselte leicht. Es war nicht mehr die Stimme Wus, sondern die von jemand anderem.
    Um Himmels willen, wer ist da am Apparat?
    »Wer … spricht da?«, fragte Jefferson.
    Die Stimme kicherte. Dann war die Leitung tot.
    Der telefonischen Auskunft zufolge wohnte Wu in der Dean Road in Weston, einem kleinen Vorort unmittelbar außerhalb Bostons. Jefferson hatte die Beretta neben sich auf dem Beifahrersitz liegen, während er fuhr. Die Straßen waren nahezu leer. Grau und verlassen lagen sie in der frühen Morgensonne. Jefferson fuhr so schnell er konnte. Vor seinem geistigen Auge sah er das Bild auf Wus Schreibtisch. Die Familie des Arztes. Alle lächelten …
    Zorn kann das Urteilsvermögen manchmal sehr beeinträchtigen. Zorn bringt einen dazu, Fehler zu machen. Doch manchmal, wenn man keine Entscheidung treffen muss, sondern nur reagiert, kann Zorn etwas Positives sein. Er macht einen stärker, lässt einen Schmerz vergessen, Schuld, Reue … Man handelt nur noch. Genau dieser wilde Zorn war es, der Jefferson nun antrieb.
    Wu wohnte in einem Haus im Kolonialstil am Ende einer ruhigen Straße. An das Haus angebaut war eine Doppelgarage mit einer kurzen Auffahrt. In der Auffahrt, direkt vor dem Garagentor, stand ein schwarzer Mercedes. Jefferson parkte dahinter, stellte den Motor ab und stieg aus. So früh am Morgen war alles ruhig und still. Eine beinahe schmerzhafte Normalität. Die Häuser auf der anderen Straßenseite lagen dunkel da, und auf dem Rasen der Vorgärten schimmerte frischer Tau. Aus dem gegenüberliegenden Haus kam ein Golden Retriever durch eine Hundeklappe in der Tür, schnüffelte prüfend und trottete dann auf den Rasen, um sich zu erleichtern.
    Rasch ging Jefferson den Weg zur Vordertür von Wus Haus. Die Beretta steckte wieder im Schulterhalfter. Im Haus war es ruhig, keine Lichter brannten, nirgendwo war Bewegung. Hinter keinem Fenster war irgendetwas zu sehen. Die Tür war groß und aus Ahornholz mit Messingarmaturen. Die Klinke bewegte sich lautlos in Jeffersons Hand, und die Tür schwang nach innen. Sie war nicht abgesperrt gewesen. Jefferson blieb in dem kleinen Foyer stehen, während seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten. Das Haus war geschmackvoll und schön. Hartholzböden, die wie Parkett glänzten, große Kübelpalmen, Renoir-Drucke an den Wänden. Vor Jefferson mündete das Foyer in einen schmalen Korridor, der zur Küche führte. Die Arbeitsflächen bestanden aus Marmor, und ein großes Fenster zeigte hinaus auf den Garten hinter dem Haus.
    Noch immer war alles ruhig. Sämtliche Räume im Erdgeschoss waren leer. Fang oben an und von dort durch den Rest des Hauses. Jefferson stieg die schmale Holztreppe in den ersten Stock hinauf. Die Stufen knarrten leise, doch im Haus regte sich nichts.
    Vielleicht, weil alle tot sind …
    Im ersten Stock gab es weitere Hartholzböden sowie Möbel aus Kirsche. Zur Rechten führte eine offene Tür in ein dunkles Schlafzimmer. Fang hier an. Jefferson betrat das Zimmer und spürte einen dicken Teppich unter den Schuhsohlen. In der gegenüberliegenden Wand gab es zwei große Fenster, die nur schwach hinter vorgezogenen Vorhängen schimmerten. Eine zweite Tür führte in ein kleines Bad. In dem Bad brannte eine kleine, wie eine Muschel geformte Nachtlampe in einer der Steckdosen und tauchte den schachbrettartig gefliesten Boden und die sorgfältig gefalteten Handtücher in den Regalen in weiches Licht.
    Der Rest des Schlafzimmers bestand aus undeutlichen Umrissen von Mobiliar, die mit den Schatten verschmolzen. Jefferson ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein und verharrte dann regungslos in der Dunkelheit. Nachdem seine Augen sich an das trübe Licht gewöhnt hatten, materialisierte im Schatten an der Wand ein breites Bett.
    In dem Bett war etwas.
    Jefferson bewegte sich vorsichtig darauf zu, während er die Beretta aus dem Schulterhalfter zog. Er starrte auf die Gestalt, die dort unter der Bettdecke lag, ein langer Umriss, der wie ein Mensch aussah. Die Laken um

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