Dämon
Zwiebeldächer auf blauen Türmen überragten das grünliche Dach.
Sie bogen vom Kanal ab und fuhren einen Block weit an der breiten Newa entlang, bevor sie auf den Newsky-Prospekt kamen, die Hauptstraße von St. Petersburg. Die schmucklosen, fünfstöckigen Ziegelsteingebäude zu beiden Seiten der Straße schienen zu einer einzigen massiven Konstruktion zu verschmelzen, die weder in der Farbe noch in der Form variierte. Der Bus fuhr an kleinen Läden mit Schaufenstern, Bäckereien, Metzgereien und den verschiedensten Geschäften vorbei.
Alle paar Blocks steuerte der Bus eine Haltestelle an, und Fahrgäste schoben und drängten sich hinaus auf die übervölkerten Verkehrsinseln und die Straße, um anschließend rasch in den grauen Schatten zu verschwinden.
Jefferson erkundigte sich beim Busfahrer, wo sich das Hotel befand. Der Fahrer deutete auf eine Fähre am Ufer des Kanals. »Nehmen Fähre, andere Seite. Nächste Haltestelle.«
Jefferson bedankte sich, und beim nächsten Halt stiegen sie aus dem überfüllten Bus und genossen die frische Luft und das Gefühl von Weite. Dann überquerten sie einen Platz, gingen zum Kanal hinunter und stiegen an Bord der Fähre, die unter ihren Füßen schaukelte. Es war ein großes Boot, mit zwei Reihen Sitzbänken rechts und links. An Bord waren die verschiedensten Personen, hauptsächlich Russen; Jefferson erkannte einige von der Busfahrt wieder.
Sie setzten sich an ein Fenster. Durch die Plastikbank hindurch spürte Jefferson die Vibrationen des Motors.
»Ich liebe Bootsfahrten«, sagte McKenna. »Das Gefühl von Freiheit, wenn man sich vom Land entfernt.«
Jefferson nickte. »Ich hoffe nur«, sagte er, »Brogan kommt in Boston zurecht. Diese Sache hat ihm übel mitgespielt.«
»Seid ihr eng befreundet?«
»Ziemlich eng, ja.«
»Wie lange kennst du ihn schon?«
»Schon sehr lange. Wir waren zusammen in Bosnien, in Zvornik.«
»Zvornik?«
»Ja. Das ist eine kleine Stadt. Es muss dort sehr schön gewesen sein.«
»Wie meinst du das?«
»Es war Krieg. Im Krieg bemerkt man nicht viel von den Schönheiten einer Gegend.«
»Und du hast Brogan in Zvornik kennen gelernt?«
»Ja. Genau wie Vincent, der auch bei der Mordkommission ist. Er war als Erster am Sinatra-Tatort. Nachdem wir aus der Army entlassen worden waren, trafen wir uns in Boston wieder und gingen zur Polizei. Dann hat Vincent geheiratet. Kurze Zeit später auch Brogan.«
»Du nicht?«
Jefferson schüttelte den Kopf. »Nein … In Zvornik sind Dinge passiert, mit denen ich erst zurechtkommen musste.«
Er wandte den Blick von McKenna, blickte hinaus aufs Wasser und beobachtete die kleinen Wellen auf dem Kanal. Als er sie wieder ansah, wurde ihm bewusst, dass sie ihn die ganze Zeit beobachtet hatte.
»Was ist damals passiert?«, fragte sie.
Er sah sie an. In ihren Augen funkelten winzige Spiegelbilder des Kanals.
»Frag nicht«, sagte er, ohne den Blick von ihren Augen zu nehmen.
Das Fährschiff legte ab und fuhr hinaus auf den Kanal. Männer warfen Taue ans Ufer, und der Bug zeigte aufs Wasser, bevor die Fähre ablegte und einen Keil von Wellen hinter sich herzog. Überall am Kanal brannten Lichter in den Häusern; ihre Reflexionen im Wasser zitterten und schwankten, wenn die Wellen sie durchschnitten. Gaslaternen säumten die Pfade entlang dem Kanal, und gelegentlich gingen Passanten darunter her und wurden für einen Augenblick in Helligkeit getaucht, bevor sie wieder im Dunkel verschwanden.
Jefferson spürte die Wärme McKennas. Plötzlich beugte sie sich zu ihm herüber und brachte ihren Mund ganz nah an sein Ohr.
»Ich bin froh, dass ich mit dir hier bin«, flüsterte sie, und er spürte das Beben ihrer Lippen auf der Haut.
Sie lehnte sich zurück, schob ihre Hand unter Jeffersons Arm und tastete nach seiner Hand, fand seine Finger und umschloss sie fest, während die Fähre langsam über den Kanal glitt.
Die Fähre legte auf der anderen Seite des Wasserlaufs an. Sie stiegen aus und gingen einen gepflasterten Weg zur Straße hinauf und zu ihrem Hotel. Ein roter Teppich auf dem Bürgersteig führte hinauf zur breiten gläsernen Eingangstür. Jefferson stieß die Tür auf, und sie betraten das warme Foyer. Ein Portier hinter einem hohen Schalter aus Walnussholz winkte ihnen, dann sprach er sie auf Russisch an.
»Wir sprechen kein Russisch«, sagte Jefferson. »Sprechen Sie Englisch?«
»Gewiss«, antwortete der Portier und zog ein dickes schwarzes Gästebuch hervor. Er schlug es auf, legte es
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