Dämon
er sich erschrocken auf.
»Sehen Sie sich das an!«, rief er und deutete mit dem Finger auf den Zahn.
Der Blutfleck schien sich nach und nach ausgebreitet zu haben und lief nun in Richtung des Kiefers. Während sie alle drei hinsahen, verschwand er gänzlich, als wäre er vom Knochen aufgesaugt worden wie Wasser von einem Schwamm.
»Himmel!«, stieß Jefferson hervor und wich einen Schritt von der Kiste zurück. »Was war das?«
»Ich bin mir nicht sicher …« Ugriumov betrachtete den Zahn aus der Nähe und schob seine dünne Drahtbrille zurecht. Vorsichtig ruckelte er an dem Zahn, bis er ihn aus seiner Kieferhöhle befreit hatte, und hielt ihn ins Licht einer von der Decke baumelnden nackten Glühbirne.
»Erstaunlich«, sagte er leise.
»Was denn?«, fragte McKenna und vergaß ihren Finger für einen Augenblick.
»Dieser Zahn verfügt noch immer über Blutgefäße«, erklärte Ugriumov und zeigte ihnen, was er meinte. Unter dem weißen Zahnschmelz schienen feine Adern zu verlaufen. »Als wären in seinem Innern lebende Zellen!«
»Sie meinen, dieses Ding ist noch lebendig ?«
»Nein.« Ugriumov schüttelte den Kopf. »Es besitzt jedoch Blutgefäße, die imstande wären, lebende Zellen zu versorgen. Als würde dieses Skelett nach und nach zum Leben erwachen …«
»Was könnte so etwas verursachen?«
Ugriumov zuckte die Schultern und überlegte. »Ich bin nicht sicher«, sagte er schließlich. »Es ist, als hätte jemand diesem Zahn Blut injiziert.«
»Was?«, entfuhr es Jefferson. »Ich dachte, dieses Ding hätte in den vergangenen zwanzig Jahren unberührt in der Kiste gelegen? Wie kann jemand hier heruntergekommen sein und Blut in den Zahn injiziert haben? Ich meine, wir haben die Kiste doch selbst gesehen! Sie war praktisch luftdicht versiegelt!«
»Ich weiß, ich weiß.« Ugriumov schüttelte den Kopf. »Es sei denn, natürlich, das Blut ist von Miss Watson. Irgendwie ist es in den Zahn gelangt …«
McKenna starrte auf ihren Finger und dann auf den kleinen Mann. »Sie meinen, mein Blut ist in diesem Ding?«, fragte sie nervös.
Jefferson gefiel diese Vorstellung ebenfalls nicht. Sie war unheimlich, grässlich, erschreckend …
»Ich weiß es nicht.« Ugriumov zuckte die Schultern. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Knochen werden mit zunehmendem Alter weniger porös. Die Wahrscheinlichkeit, dass Knochen irgendetwas aufsaugen könnten, ist sehr gering. Ich nehme an, es ist nicht völlig unmöglich. Aber merkwürdig ist es trotzdem.«
Er setzte den Zahn zurück in die Kieferhöhle. »Ich hoffe sehr, dass sich niemand an diesem Skelett zu schaffen gemacht hat. Ich werde mich so bald wie möglich mit dem Personal unterhalten.«
Jefferson wechselte einen raschen Blick mit McKenna. Sie hatte die Augenbrauen hochgezogen und die Stirn in Falten gelegt. Als sie Jeffersons Blick bemerkte, hob sie die Hände nach außen und schüttelte verwirrt den Kopf. Jefferson gefiel der Gedanke ganz und gar nicht, dass dieses Ding in der Kiste noch irgendetwas Lebendiges in sich haben könnte. Das Skelett war Furcht einflößend und unnatürlich; selbst die Knochen schienen eine böse Ausstrahlung zu besitzen.
Jefferson hatte in seinem Leben viele schlimme Dinge gesehen. Verbrecherische, verkommene Menschen, die Kinder vergewaltigt und ermordet hatten. Männer, die andere gefoltert und sich daran ergötzt hatten, sich am Schmerz und Leid Dritter gelabt hatten. Er hatte Serienmörder verhört, Sadisten, Serienvergewaltiger. Sämtliche Verbrecher, Irre und Perverse, die die menschliche Gesellschaft hervorzubringen imstande war. Jefferson war ihnen allen während seiner Jahre bei der Polizei von Boston begegnet.
Doch das, was dort vor ihm in der Kiste lag, machte ihm mehr Angst als alles, was er auf den Straßen Bostons oder in den Verhörzimmern je gesehen hatte. Es machte ihm mehr Angst als alles, was Menschen einander je angetan hatten.
»Was ist mit den anderen Dingen, die man in der Höhle gefunden hat?«, fragte McKenna. »Den Schriftrollen und dem Leichentuch?«
Ugriumov wandte sich um und blickte suchend auf die Metallregale neben der Kiste. »Sie müssten irgendwo hier liegen.«
Er kramte einige Sekunden herum, dann zog er eine Stoffrolle hervor, legte sie auf den Tisch und rollte sie dort langsam auseinander, sodass Jefferson und McKenna das Abbild auf dem Stoffgewebe sehen konnten. Das Gewebe war von verblichener gelblicher Farbe, als wäre es mit Kaffee überschüttet worden, und lag vor ihnen wie
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