Dämon
wickelte ein Stück Kaugummi aus, steckte es sich langsam in den Mund und ließ das zerknitterte Silberpapier in eine kleine Plastiktüte fallen, die er für Abfälle unter dem Vordersitz aufbewahrte.
»Tritt deine Schuhe ab«, sagte Brogan, als Jefferson die Beifahrertür öffnete.
»Was?«
»Du kennst die Regeln.«
Für Brogans Wagen galten mehr Regeln als für die meisten Gentlemen’s Clubs. Rauchen und Essen verboten. Keine Mäntel, Hemden oder Hosen mit scharfkantigen Schnallen oder Nieten, die den Stoff beschädigen konnten, und stets die Schuhe abklopfen, bevor man einstieg. Nur für sich selbst machte er Ausnahmen von diesen Regeln, beispielsweise beim Trinken aus einer wiederverschließbaren Flasche, wie er es jetzt tat.
Sein Wagen war in der ganzen Gegend bekannt und stand Nacht für Nacht unter seiner grauen Plastikhaube. Doch niemand wagte es, ihn anzurühren.
»Wohin?«, fragte Brogan.
»Wir fahren noch einmal zum Haus von Sinatra. Was hat Vincent herausgefunden, wie der Mann seine Zeit verbracht hat?«
»Außer mit dem Verteidigen von Psychopathen und Vergewaltigern?«
»Ja«, sagte Jefferson.
»Er soll alte Kunst gesammelt haben. Antiquitäten … ich weiß es nicht mehr genau. Warum?«
»Angenommen, McKenna hat Recht, und dieser Dämon tötet nicht ohne Grund.«
»Ja?«
»Welchen Grund mag er gehabt haben, Sinatra zu erledigen?«
»Weil Saint und die Typen, die ins Haus eingebrochen sind, im Blade gesessen haben? Genau wie der Bursche auf dem Friedhof, den es erwischt hat?«
»Der Typ auf dem Friedhof hat im Blade gesessen, ja. Er war sogar unten im Loch. Doch außer Saint war niemand von den anderen im Loch.«
»Und?«
»Es gab keinen Grund, die gesamte Truppe von Saint zu töten – und obendrein Sinatras Familie«, erwiderte Jefferson. »Außerdem war dieses Ding Saints Worten zufolge bereits im Haus, als sie dort ankamen. Falls Saint das Ziel war, woher sollte der Dämon vorher wissen, dass Saint einen Einbruch in Sinatras Haus plante, sodass er vorher dort sein und ihm auflauern konnte?«
Brogan dachte kurz nach. »Zugegeben. Wenn ich Saint und seine ganze verdammte Truppe ausknipsen wollte, müsste ich dafür nicht ins Haus eines Anwalts einbrechen. Ich könnte Saint und die anderen jederzeit erledigen, wann und wo sich die Gelegenheit bietet. McKenna hat mit keinem Wort erwähnt, dass dieses Ding schon vorher weiß, was seine Opfer um welche Zeit tun werden.«
Sie fuhren durch die Newbury Street und über die Massachusetts Avenue. Rechts und links waren teure Geschäfte, und Glas und Marmor glänzten in der Sonne. Gut gekleidete Frauen führten kleine Hunde an der Leine und spazierten den breiten Bürgersteig hinunter. Brogans Crown Vic ragte aus der Menge der BMW , Mercedes und Lexus.
»Wir haben nie überlegt, dass der Dämon vielleicht nur deshalb in Sinatras Haus eingedrungen ist, um den Anwalt zu töten«, sagte Jefferson.
»Es erschien uns nicht als mögliche Erklärung. Sinatra war Anwalt, sicher, und das ist für manche Leute Grund genug, dass sie ihn am liebsten umbringen würden, aber er hatte mit den restlichen Morden nichts zu tun.«
»Und wenn es kein Zufall war?«, fragte Jefferson. »Wenn der Dämon in Sinatras Haus war, weil er etwas gesucht hat?«
»Zum Beispiel?«
»Irgendetwas, das von Interesse für ihn ist. Was er haben wollte … oder brauchte.«
»Etwas aus der Zeit, bevor er auf der Insel festsaß?«
»Ja. Sinatra hat Antiquitäten gesammelt.«
Brogan schnippte mit dem Finger. »Genau! Der Dämon könnte etwas gewollt haben, das sich in Sinatras Sammlung befand. Zum Beispiel eine alte Münze oder ein altes Buch …«
»Oder eine alte Handschrift.«
Brogan nickte. »Wie die, die McKenna in ihrer Wohnung hat.«
»Nur dass die Handschrift bei Sinatra möglicherweise vollständig war.«
Jefferson beobachtete die schnittigen Segelboote, die sich durch die trägen Wasser des Charles bewegten. Brogan hatte den Crown Vic am Straßenrand neben einem der Spazierwege geparkt, die am Charles entlangführten. Beide Fenster waren unten, und eine milde Brise wehte durch den Wagen. Es roch nach Gras und Wasser.
»Ist das alles?« Brogan sprach in sein Mobiltelefon. »Mehr hast du nicht? Ganz sicher?«
Brogan nickte und lauschte, während der Sprecher ihm irgendetwas erwiderte.
»Also gut, wir sehen uns dann.«
Brogan klappte das Handy zusammen und lehnte sich im Fahrersitz zurück. »Vincent sagt, dass die Spurensicherung kein altes Manuskript oder
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