Dämon
weinenden, vor Angst zitternden Häufchen Elend, das im Verhörzimmer gekauert hatte. Irgendetwas musste seither geschehen sein. Saint wusste, was in Sinatras Haus gewesen war – er wusste, dass es etwas Böses war. Ein Dämon. Doch hier saß er nun, draußen im Freien, und schien kein bisschen Angst zu haben. Er wirkte voller Selbstvertrauen. Zu viel Selbstvertrauen.
Eine hübsche junge Frau erschien in der offenen Tür von Saints Apartment. Sie trug eine abgeschnittene Jeans, die eine Nummer zu groß für sie war, und ein Patriots-Sweatshirt mit der Nummer 61, Troy Venices Nummer. Saint bemerkte Jeffersons Blick und nickte in Richtung der jungen Frau.
»Das ist meine Schwester«, sagte Saint. »Komm her, Süße, sei nicht so schüchtern.«
Die junge Frau trat in die Sonne auf der nicht überdachten Vorderterrasse und hob eine Hand, um ihre Augen abzuschirmen.
»Sharin, das sind die Detectives Brogan und Jefferson.«
Die beiden nickten, und die junge Frau lächelte. »Hallo.«
Jefferson dachte an die Antibabypillen in Saints Badezimmer. Die Pillen, die Sharin gehörten.
»Arbeiten Sie noch?«, fragte er.
»Verdammt, nein!« Saint schüttelte den Kopf. »Sie ist da raus. Direkt nachdem ich mit Ihnen geredet habe. Ich hab ihr geholfen, da rauszukommen.«
»Manchmal ist es ganz schön schwierig, so einen Job aufzugeben«, sagte Jefferson. Er hatte viele Frauen gesehen, die versucht hatten, von der Straße wegzukommen in dem Glauben, in einem normalen Job besser dran zu sein. Er hatte viele von ihnen mit gebrochenen Nasen, ausgerenkten Kiefern, angeknacksten Rippen und blauen Augen gesehen, die sie einem Zuhälter zu verdanken hatten, der anderer Meinung gewesen war.
»So schwierig, wie Sie glauben, war es auch wieder nicht. Kommt immer darauf an, wer die Verhandlungen führt.« Saint rieb sich die Hand, während er sprach. Jeffersons Blick fiel auf die Knöchel des Mannes. Sie waren geschwollen, die Haut aufgeplatzt, als hätte er mit solcher Kraft auf etwas eingeschlagen – etwa auf den Zuhälter seiner Schwester –, dass er sich die Hand verletzt hatte. Jeffersons Blick wanderte weiter zu den Händen Venices, und er bemerkte die gleichen Spuren an den Knöcheln des Football-Stars. Beinahe hatte er Mitleid mit dem Zuhälter von Saints Schwester – und jedem anderen Mann, der je versuchte, Hand an Sharin zu legen.
Als Jefferson schließlich aufsah, bemerkte er, dass Saint ihn mit ausdruckslosem Blick musterte.
»Ich hab gehört, was drüben im Blade passiert ist«, sagte Saint. »War überall in den Nachrichten. Ein ganzes SWAT -Team war im Loch und ist diesem Ding in die Fänge gelaufen, stimmt’s?«
»Ja. Es hat vielen von unseren Jungs das Leben gekostet«, sagte Brogan.
»Vielleicht hat die Sache trotzdem ein Gutes.«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Tag der Abrechnung kommt. Endlich muss dieser Arsch von Direktor sich verantworten für die Schweinereien, die er jeden Tag im Blade begangen hat. In dem Laden wird endlich mal aufgeräumt. Zum Henker, ja, vielleicht hat die Sache wirklich ein Gutes.«
»Vielleicht.«
»Tja, nun … weshalb sind Sie gekommen, Detective?«, fragte Saint unvermittelt. »Kann ich was für Sie tun?«
»Können wir allein reden?«
»Egal was Sie mir zu sagen haben, ich hab vor Sharin und Venice nichts zu verbergen.«
Brogan zuckte die Schultern. »Wie Sie meinen.«
Saint saß noch immer auf der Hantelbank. Brogan lehnte sich gegen eines der Regale mit Gewichten und schob die Hände in die Taschen, während Jefferson sich auf die Beinpresse setzte.
»Wir wollten uns noch mal über die Nacht damals unterhalten«, sagte er. »Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen … über das, was Sie im Haus des Anwalts gesehen haben.«
Saints Augenlider flatterten nervös. Selbst Venice schien sich unbehaglich zu fühlen, als hätte er inzwischen erfahren, was sich zugetragen hatte.
»Klar«, sagte Saint. »Fragen Sie.«
»Was haben Sie damals in dem Haus gesehen, Saint?«
»Ich hab ’ne Menge Sachen gesehen.«
»Beispielsweise ein Manuskript?«, fragte Jefferson.
»Ein was?«
»Eine Handschrift. Ein großes dickes Buch voller handbeschriebener Seiten, mit einem Einband aus Leder, vielleicht fünfzig Zentimeter hoch.«
Saint zögerte kurz, und Jefferson meinte, ihn schauern zu sehen. Er machte den Eindruck, als hätte jemand ihm Eis in den Kragen geschüttet, obwohl der Tag warm und sonnig war.
»Warum gehen Sie und Ihr Kumpel nicht einfach nach Hause und lassen die
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