Dämon
Rollstuhl über den betonierten Weg in das Hufeisen bis vor Saints Wohnung rollte. Wie leere Blicke den merkwürdigen kleinen Mann in seinem Rollstuhl verfolgten.
»Nein. Er hat mich angerufen und gesagt, dass ich in sein Gebäude kommen soll.«
»Und Sie waren dort?«
»Klar. Und er sagte mir, er wisse, dass ich das Manuskript habe. Dass ich es aus Sinatras Haus gestohlen hätte und dass es gefährlich für mich wäre, wenn ich’s behalte. Weil gefährliche Mächte auf der Suche danach wären oder so was in der Art«, sagte Saint. »Und er sprach von Geld.«
»Geld?«
»Ja.«
»Wie viel?«
»Genug, um mich für meine Mühe zu entlohnen.«
»Also haben Sie ihm das Manuskript gebracht?«
»Ich weiß, dass Les Invisibles vor meiner Wohnung gestanden haben. Ich weiß, dass sie nach etwas gesucht haben und konnte mir denken, dass es das Manuskript war. Ich wollte das verdammte Ding loswerden, so schnell wie möglich. Sollte Lyerman es doch nehmen, wenn er so scharf drauf ist. Er schien genau zu wissen, was es damit auf sich hat.«
»Lyerman ist einer der reichsten Männer des Landes«, sagte Brogan. »Sie wollen mir tatsächlich erzählen, dass er wusste, was es mit dem Manuskript auf sich hat? Dass er wusste, was vorgeht?«
»Und ob! Older hat das Manuskript auf Blade Island gefunden. Und noch etwas anderes … eine Schachtel mit irgendwas darin.«
»Was war darin?«
»Keine Ahnung. Older hat Q erzählt, dass er die Schachtel an Lyerman verkauft hat. Er wollte das Buch ebenfalls an Lyerman verscherbeln, aber dann wurde er gierig. Er glaubte, einen besseren Schnitt zu machen, wenn er das Buch zuerst an Sinatra verkauft und dann Five, Q und mich anheuert, es zu stehlen. Wir sollten fünfzehn Riesen von Older kriegen, und der würde das Manuskript anschließend an Lyerman weiterverkaufen. Jeder hätte seinen Schnitt gemacht, außer Sinatra. Aber dann ging die ganze Sache in die Hose.
Lyerman muss alles über Olders Deal gewusst haben, weil er sich mit mir in Verbindung gesetzt hat. Er wusste alles über diesen Dämon und darüber, was sich im Haus des Anwalts abgespielt hatte. Wenn überhaupt, scheint er derjenige zu sein, der die Fäden zieht und hinter alledem steckt. Scheiße, dieser Mistkerl hat Sie beide von Anfang an an der Nase herumgeführt …«
»Ich habe vorhin unseren Freund Lyerman durchleuchten lassen«, sagte Brogan und klappte sein Handy zu. Sie saßen in Brogans Wagen und fuhren die Massachusetts Avenue hinunter zu Jeffersons Haus. Nachdem sie von Saint aufgebrochen waren, hatte Brogan einen Kontaktmann namens Albert Manuel angerufen, der beim Boston Globe arbeitete, und ihn gebeten, einige Nachforschungen über Joseph Lyerman anzustellen.
»Und?«, fragte Jefferson. »Was hast du rausgefunden?«
»Manuel sucht noch. Er ruft mich in fünf Minuten zurück.«
Lyerman hatte nicht nur von der Existenz des Manuskripts gewusst, sondern auch, in wessen Besitz es war. Er hatte Saint wenige Tage nach den Morden in Sinatras Haus angerufen. Hatte Lyerman die ganze Zeit von dem Dämon gewusst, oder war er erst vor kurzer Zeit ins Spiel gekommen?
»Falls Lyerman etwas mit der Sache zu tun hat, dann schwöre ich, dass ich ihn mitsamt seinem Rollstuhl von einer Klippe stoße!«, stieß Jefferson hervor.
»Wir wissen bis jetzt nicht mal, ob Saint die Wahrheit gesagt hat.«
»Was willst du damit sagen?«
»Woher wissen wir, dass Saint nicht der Kerl ist, diese Reinkarnation von Sidina? Er könnte von Anfang an in der Sache dringesteckt haben.«
Jefferson dachte darüber nach. »Nein. Das ergäbe keinen Sinn. Falls Saint Sidina ist und der Dämon bereits vor seiner Haustür gestanden hat, warum sollte er dann weitersuchen?«
Brogan schüttelte den Kopf. »Du hast gesagt, es wären insgesamt vier Skelette.«
»Ja. Sidina und seine drei Gefährten.«
»Wenn Sidina reinkarniert wurde, ist demnach zu vermuten, dass seine Gefährten ebenfalls wieder unter den Lebenden weilen.«
»Ja …«
»Das bedeutet, dass der Dämon nicht nur nach seiner Reinkarnation des Sidina sucht, sondern auch nach seinen drei Gefährten. Er sucht vier Menschen. Vier Menschen hier in Boston.«
Jefferson stockte und strich sich mit der Hand über die Stirn. Mein Gott, das stimmt wahrscheinlich. Wieso ist mir der Gedanke nie gekommen? Seit sie von Saint aufgebrochen waren, hatte er die ganze Zeit geglaubt, dass der Dämon allein nach Sidina suchte, doch Brogan hatte Recht. Es war durchaus möglich, dass er bereits gefunden
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