Dämon
hatte, wonach er suchte. Falls Saint sie geleimt hatte, war er ein besserer Schauspieler als Robert DeNiro und Marlon Brando zusammen.
Jefferson kannte eine Menge Exsträflinge, die einen erfundenen Lebenslauf vollkommen glaubhaft spielen konnten, die vor dem Bewährungsausschuss logen, dass sich die Balken bogen, die ihre Bewährungshelfer betrogen – jeden, den sie belügen mussten.
Er kannte einen Exsträfling, der seinem Bewährungshelfer acht Monate lang vorgegaukelt hatte, er sei ordinierter Geistlicher einer einheimischen Gemeinde geworden. Der Bursche war in geistlicher Kleidung zu den Terminen beim Bewährungshelfer aufgekreuzt und hatte sich sogar einverstanden erklärt, das Baby des Bewährungshelfers zu taufen. Und die ganze Zeit war er als Drogenkurier von Boston nach Nashua unterwegs gewesen. Das Innere einer Kirche hatte der Bursche seit elf Jahren nicht gesehen.
Sträflinge konnten sehr gut lügen. Trotzdem – wenn Saint ihnen eine Lügengeschichte erzählt hatte, war es ihm außergewöhnlich gut gelungen.
»Hast du mal darüber nachgedacht?«, fragte Brogan.
»Nein.«
»Es würde erklären, wieso Saint aus Sinatras Haus entkommen konnte. Denk mal darüber nach. Er behauptet, dass er der Einzige war, der es geschafft hat. Was, wenn er lügt? Wenn er in Wirklichkeit Sidina ist, und wenn dieser Dämon ihn in jener Nacht in Sinatras Haus gefunden hat? Was, wenn Saint in Wirklichkeit gar nicht aus Sinatras Haus entkommen konnte?«
»Wenn das stimmt«, flüsterte Jefferson, »haben wir eben nicht mit Saint geredet, sondern mit dem Dämon …«
Brogan nickte. Der Gedanke lastete schwer auf ihnen. Jefferson schauderte. Es war ein Gefühl, wie man es in den Augenblicken nach einem schweren Autounfall hat, in der Stille, wenn einem klar wird, dass man mit dem Leben davongekommen ist.
Brogans Mobiltelefon läutete. Es war Manuel vom Boston Globe. Brogan stellte ihn auf die Lautsprecheranlage des Crown Vic.
Manuel war im Alter von acht Jahren zusammen mit seiner Familie aus Panama in die Vereinigten Staaten gekommen. Sein Englisch war nahezu perfekt; nur der Hauch eines spanischen Akzents war zu hören.
»Hola, amigo« , sagte Brogan. »Was hast du herausgefunden?«
»Sag mir eins, mein Freund«, antwortete Manuel. Seine Stimme klang seltsam fern in dem kleinen Lautsprecher des Wagens. »Ich komme hierher in diese Stadt, nach Boston, und friere mir in den verdammten Wintern den Arsch ab, während es in Panama City fünfundzwanzig Grad sind. Kannst du mir sagen, warum ich eigentlich hergekommen bin? Etwas, das die Mühe lohnt?«
»Was würdest du sagen, wenn du die Exklusivrechte an dem Fall bekommst, den wir im Augenblick bearbeiten?«, erwiderte Brogan. »Und das ist keine Nullachtfünfzehn-Geschichte, sondern eine Story für die Titelseiten von Küste zu Küste. Auch CNN wird scharf darauf sein. Du wolltest doch immer schon den Pulitzerpreis.«
Manuel schwieg einen Augenblick. »Also schön, einverstanden. Ich helfe dir, aber du versprichst mir, mich auf dem Laufenden zu halten, in Ordnung?«
» Sí, sí. Geht klar. Und jetzt erzähl mal, was du über Lyerman herausgefunden hast.«
»Okay …«, sagte Manuel, und Jefferson hörte, wie er Seiten umblätterte. »Joseph Lyerman, Jahrgang 1923, geboren in Charlestown. Seine Eltern waren irische Einwanderer. Sein Vater war Dockarbeiter und wurde während eines Gewerkschaftsstreiks im Jahre 1927 getötet. Seine Mutter war Näherin.
Nach dem Tod des Vaters musste die Mutter Joseph und seine fünf Geschwister durchbringen. Sie zog mit ihren Kindern von Charlestown nach South Boston. Lyermans ältester Bruder Henry zog dann in den dreißigern im Rahmen von Roosevelts New-Deal-Programm nach Montana. In den nächsten beiden Jahren unterstützte er die Familie mit einem Teil seines Lohnes, bis das Geld 1935 plötzlich ausblieb. Henry wurde nie wieder gesehen.
Mit dreizehn Jahren nahm Lyerman beim Globe eine Stelle als Zeitungsjunge an. Er arbeitete drei Jahre in diesem Job, bis er sechzehn war, dann wurde er Fließbandarbeiter bei FreshCan Tuna, einer Fischfabrik, die in den Fünfzigerjahren abgebrannt ist. Drei Jahre später, mit neunzehn, trat er der Handelsmarine bei und diente im Südpazifik auf der USS Galla .«
Manuel berichtete weiter, doch Jefferson hörte nicht mehr zu. Die Galla … Lyerman hatte auf einem Schiff gedient, das im letzten Jahr geborgen und im Januar nach Boston geschleppt worden war. Irgendetwas war an Bord dieses Schiffes
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