Daemonen kuesst man nicht
jedem verzweifelt bittenden Aufschrei zerrte ich an meinen Händen, bis meine Handgelenke vor Schmerz brannten und mein Rücken beinahe auseinanderbrach.
»Joe. Ich. Brauche. Dich. Jetzt, Joe. Ich brauche …«
Die magische Welt schlingerte, als die fluoreszierenden Lichter über mir aufflackerten und dann erloschen. Die Dunkelheit um mich herum ließ mich frösteln. Ein orangefarbenes Leuchtsignal eines Notausgangs am Ende des Gangs schimmerte wie eine Oase in der Ferne, und in meiner Gruft aus Beton wurde es immer stiller – viel zu still. Ich nahm all meine Kraft zusammen und wusste, dass ich nur noch einmal tief einatmen würde, bevor ich losschreien würde.
Vielleicht würde Serenas Plan nicht aufgehen. Vielleicht sahen sich die Zuschauer in Amerika die Sendung mit Ricardo Zarro nicht an, weil alle auswärts essen waren. Oder es war gar nicht wahr, was man sich über Stromausfälle erzählte. Möglicherweise würden nicht genügend Pärchen miteinander
schlafen, oder den Sukkuben würde es nicht gelingen, sich die Fleischeslust und die damit verbundene Energie zunutze zu machen, oder … Die Temperatur in dem Raum sank um mindestens zwanzig Grad.
Sukkuben. Ich spürte ihre Kraft wachsen. Als ich die Augen schloss, konnte ich es beinahe sehen. Meine Kehle schnürte sich zusammen, als eine Horde Sukkuben tief unter der Erde an die Wände des alten Gefängnisses klopfte. Mein Magen fühlte sich an wie ausgehöhlt. Das Eisen gab nach. Die Dämonen tobten. Und ich wusste, es war nur noch eine Frage der Zeit.
Das hieß aber nicht, dass wir uns nicht dem Kampf stellen würden.
»Joe!« Panik überfiel mich. Wo war er? Geister waren doch schnell unterwegs.
Zwanzig Dämonen brachen gemeinsam durch das Portal, und der Schock verschlug mir beinahe den Atem.
»Joe!«
Mein Magen schlug Purzelbäume, als die Dämonen ausschwärmten. Sie drängten vorwärts und türmten sich aufeinander. Mindestens vierzig weitere kamen aus dem Portal. Ich konnte sie kaum mehr zählen.
Meine Güte, was geschah nun mit Dimitri?
Ich hatte versagt. Vor meinen Augen tanzten Punkte, als ich auf den dunklen Marmorboden vor mir starrte. Schweiß rann mir über den Rücken, während ich mir das Gehirn darüber zermarterte, was ich jetzt tun sollte.
Niemand kam mir zu Hilfe.
Sie drückten immer schneller herein. »Einhundertzwölf!«
Vielleicht konnte ich Phil erreichen, wenn ich mich genügend anstrengte. Auch wenn es kaum geklappt hatte, bevor Serena Phil geheiratet hatte, ihm seinen freien Willen genommen und ihm eine wesentliche Aufgabe in ihrem Plan, die
Welt zu beherrschen, übertragen hatte. Es war besser, als die Dämonen zu zählen, die durch das Portal strömten.
Schweißtropfen rannen über mein Gesicht. Ich neigte den Kopf und wischte mir die Stirn an der Schulter ab. Verflixt. Ich trug immer noch Dimitris T-Shirt. Sein moschusartiger Geruch löste einen Kurzschluss in meinem Gehirn aus, während sich Wärme in meinem ganzen Körper ausbreitete.
Ich musste das tun – für ihn und für alle anderen. Ich schloss die Augen und stellte mir meinen Märchenpaten vor.
»Phil?«, rief ich flehend. Ich nahm all meine Kraft zusammen und konzentrierte mich darauf, ihn aufzuspüren. Vielleicht konnte ich zu ihm durchdringen.
»Phil.« Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, ihn dazu zu zwingen, mir zu antworten. Durch die trübe, dunstige Entfernung zwischen unseren Gedanken streckte ich meine Hand nach ihm aus. Ich sehnte mich nach ihm. Beim letzten Mal hatte ich ihn überraschend schnell gefunden. Dieses Mal konnte ich keine Spur von meinem schrulligen, witzigen Teddybär und Beschützer entdecken. Der Mann, der mich so kämpferisch beschützt hatte, war von der Astralebene verschwunden, als hätte er niemals existiert.
Ich spannte meinen Körper an, als Max’ Dämonen sich befreiten. Sie drängten vorwärts, taumelten, fuhren ihre Krallen aus und griffen nach allem, was sich in ihrer Reichweite befand. Sie rempelten sich gegenseitig an, als sie in Richtung Stadt losrannten. Der bittere Gestank nach Schwefel erstickte mich beinahe.
Wenn man die Dämonen vom Portal dazurechnete, waren wir jetzt bei 188 angelangt. So viele Dämonen konnte ich auf keinen Fall wieder einfangen, geschweige denn deren Zerstörungswut aufhalten.
Nicht weiter. Ich konnte das nicht mehr mit ansehen. Ich zwang mich dazu, meine Augen zu öffnen. Ich musste hier
weg, selbst wenn ich nur Trost in einem verlassenen, schwach beleuchteten Gang
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