Daemonen kuesst man nicht
der Straßenkrieger. Wir müssen verwenden, was wir bekommen können.« Großmutter spritzte den Kräutertrank über das Waschbecken und tropfte noch eine großzügige Dosis um die Kerzen herum. »Minze auf dem
Altar ist ein großartiger Schutz. Außerdem fördert es den Zauber.«
Ich starrte auf das einfache Hotelwaschbecken. Das war also unser Altar.
Großmutter warf mir das Oral-B-Päckchen zu. »Mach du mit der Zahnseide weiter, während ich Streichhölzer suche.«
Ich wickelte den Spiegel mit Zahnseide ein. Einige lange Streifen spannte ich über das obere Drittel des Hängespiegels und ließ ein paar davon wie Weihnachtsgirlanden herunterbaumeln, um noch mehr von der Fläche abzudecken. Dann nahm ich mir die Seiten vor, bis ich die gesamten hundertachtzig Meter des zähen grünen Fadens verarbeitet hatte.
Pirates Krallen kratzten über den gefliesten Boden, als er herbeigelaufen kam. »Mann, das sieht hübsch aus, Lizzie! Ich wusste schon immer, dass du ein Talent für Dekorationen hast!«
»Raus!«, befahl Großmutter und schob sich an ihm vorbei.
»Keine Sorge, ich werde keinen Pieps von mir geben«, versprach Parate.
»Tut mir leid, mein Kleiner.« Ich schubste ihn vorsichtig zur Tür hinaus. Was immer wir jetzt auch in dem fast dunklen Zimmer mit der Minze und den Kerzen machen würden, hatte etwas mit Phils unheiliger Verbindung zu Serena zu tun. Sobald Großmutter alles herausgefunden hatte, was sie konnte, würden wir diesen Dämon kaltmachen. Ich war nicht sicher, wie das ablaufen würde, aber ich wollte Parate auf keinen Fall in der Nähe haben.
»Halt dich fest, Phil!«, rief Großmutter, bevor sie uns in dem stockfinsteren Badezimmer einschloss.
Ich konnte nichts mehr sehen. »Du hast vergessen, die Kerzen anzuzünden«, sagte ich. Meine Stimme hallte leise wider.
»Dazu kommen wir noch, Lizzie«, erwiderte Großmutter. »Du machst einfach nach, was ich tue, okay?«
Ich nickte, als ob sie mich in der Dunkelheit sehen könnte. Wahrscheinlich konnte sie das sogar. Großmutter mochte kein sehr vornehmer Mensch sein, aber sie beherrschte Dinge, von denen ich vor meiner ersten Begegnung mit ihr nicht einmal geträumt hatte.
Sie riss ein Streichholz an und hielt es vor sich in die Höhe. Unsere Spiegelbilder tauchten wie Geister vor uns auf.
»In diesem Spiegel«, begann sie, während Schatten auf ihre Gesichtszüge fielen, »sehe ich mehr, als es zu sehen gibt.«
Sie zündete mit dem Streichholz die dicke rote Kerze an ihrer rechten Seite an. »Ich rufe die Geister, die uns führen.« Der Docht fing Feuer, und Großmutter blies das Streichholz aus. Ich konnte beinahe den Schwefel riechen. Sie warf mir einen Blick zu, und ich fragte mich, ob sie das Gleiche dachte wie ich.
»Ich rufe die Geister der Vision«, fuhr sie fort und zündete mit der ersten Kerze die zweite an.
Dann legte sie ihre warmen, starken Hände auf meine Schultern und zog mich zu sich heran. Ihr Atem kitzelte mich am Ohr. »Jetzt sprich mir nach. Dreimal.«
Ich nickte und starrte auf mein Spiegelbild im Schein der zwei Kerzen.
»Bloody Mary«, sagte Großmutter feierlich.
Meine Güte, sie machte wohl Witze. Ich erinnerte mich an dieses Spiel aus meinen Kindertagen. Aber als ich ihren angespannten Gesichtsausdruck und ihren entschlossenen Blick im Spiegel sah, wurde mir klar, dass das kein Scherz war.
»Bloody Mary«, wiederholte ich ebenso ernsthaft wie sie.
Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Ich bemerkte, dass meine Nase zuckte, als wir den Namen gemeinsam noch einmal aussprachen.
»Bloody Mary.«
Die Temperatur im Raum stürzte ab.
Heilige Scheiße. Ich stolperte beinahe seitwärts, als eine scharlachrote Flüssigkeit über den Spiegel lief – auf der anderen Seite. Ich hätte sie nicht berühren können, selbst wenn ich gewollt hätte. Aber das wollte ich ohnehin auf keinen Fall. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, sodass sich meine Fingernägel in die Handballen bohrten, und starrte auf mein Spiegelbild in dem roten Schleier.
Großmutter umklammerte mit ihrer schweißnassen Hand meine eiskalte und schüttelte sie. »Jetzt geht’s ums Ganze«, sagte sie.
»Bloody Mary«, wiederholten wir gemeinsam.
Mein Puls raste. Die Flüssigkeit auf dem Spiegel teilte sich und perlte wie Quecksilber nach unten, bis ein schmales Gesicht erschien. Eine stinkende Flüssigkeit strömte aus den weit auseinanderstehenden Augen und blubberte aus der hässlichen klaffenden Wunde am Hals der Frau. Ich hielt
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