Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
herauszuprügeln. Denn dass Gabriel der Grund für die Verzweiflung und Tränen war, da war Gregor sich zweifelsohne sicher.
Nachdem Ella Kimi endlich auf den Rücksitz von Gregors Wagen verfrachtet hatte, zog er sie mit einem erstaunlich kräftigen Griff zu sich, sodass sie fast an seiner Brust landete.
»Gabriel wird doch wieder zurückkehren, oder?«
Ella verblüffte diese Frage, da er den ganzen Morgen über ihn geschimpft hatte. »Ich kann mir nichts anderes vorstellen«, antwortete sie, obwohl die Sorge an ihr zu fressen begann wie Feuer an Papierrändern.
Kimi senkte den Kopf, löste die Finger jedoch nicht von ihrem Arm, sondern packte noch fester zu, als könne nur sie ihm Halt schenken. »Bin ich schuld?« Endlich sprach er aus, was ihm mehr als das Erlebnis in seinem Traum zugesetzt hatte. Die Vorstellung, dass ihm das Erlebte zu Recht geschah.
Von einem unerwartet heftigen Gefühl heimgesucht, beugte Ella sich vor und versenkte ihr Gesicht in seinem feinen Haar. »Nein, überhaupt nicht! An dem, was geschehen ist, trägt niemand weniger Schuld als du. Sobald Gabriel zurück und die Sache geklärt ist, werde ich dich von Nora abholen. Sofort, versprochen. Du gehörst in dieses Haus, genau wie ich, Kimi.
Mit Gabriels Rückkehr werden wir drei die Uhren auf null drehen und einen gemeinsamen Neubeginn starten.«
»Neubeginn klingt gut«, sagte Kimi. Dann gab er ihren Arm frei und schenkte ihr ein
zittriges Lächeln. »Hol’ s die Katze. Ich könnte jetzt wirklich ein Wasserglas voll Wodka gebrauchen, aber ich befürchte, auf unseren Neubeginn werden wir mit lauwarmem
Leitungswasser anstoßen, wie ich dich kenne.«
»Was soll ich sagen? Du kennst mich wirklich hervorragend, Lieblingsneffe.«
Nachdem der Wagen vom Hof gerollt war, spielte Ella mit dem Gedanken, im Garten auf
Gabriels Rückkehr zu warten. Doch zum ersten Mal lockte das blütendurchsetzte Grün sie nicht. Also ging sie ins Haus und duschte, wobei sie froh war, sich den Wasserstrahl über den Kopf brausen zu lassen. So musste sie wenigstens nicht darüber nachdenken, ob sie weinte, während sie Gabriels Spuren abwusch. Mit feuchten Haaren betrat sie das
Spiegelzimmer, in das die Sommerhitze desNachmittages nicht vorgedrungen war.
Schaudernd setzte sie sich vor den Rahmen, der mit einer Substanz gefüllt war, die wie Spiegelglas aussah, aber in Wirklichkeit keins war. Ihr mitgenommenes Abbild nahm sie nur am Rande wahr, während ihre Aufmerksamkeit auf eine Bewegung irgendwo dahinter
ausgerichtet war. Doch sie wurde enttäuscht. Nichts regte sich, niemand erschien auf der anderen Seite.
Irgendwann schlief sie vor Erschöpfung und Sorge ein.
-
Es war bereits später Abend, als Ella aufwachte. Sie war der festen Überzeugung, eine feine Berührung hätte sie geweckt. Ähnlich einem gehauchten Kuss hinter das Ohr, dort, wo die Haut besonders empfindlich ist. Nachdem sie sich aufgesetzt hatte, stellte sie jedoch fest, dass sie allein war.
Immer noch.
Unwillkürlich legte sie die Hand auf ihre Brust, da sie das Gefühl hatte, ihr würde die Luft zum Atmen fehlen. Gabriel war verschollen. Kein Zeichen deutete auf seine baldigeRückkehr hin, und nun, nach dem Schlaf, der von unruhigenTräumen ohne ein klares Bild bestimmt gewesen war, hatte die Angst auch den kleinsten Funken Hoffnung erstickt. Er ist fort, hämmerte es hinter ihrer Stirn, verloren gegangen … oder sogar gescheitert und vom Dämon in tausend Splitter zerschlagen.
Ella unterdrückte ein Aufstöhnen und zuckte plötzlich vor Überraschung so stark zurück, dass sie mit den Schultern gegen die Wand schlug.
Sie war allein.
Ja.
Und sie war es doch nicht.
Im Spiegel war in weiter Ferne Gabriel zu sehen. Zuerst winzig klein, dann so groß, dass der Spiegel lediglich seinen Torso zeigte. Mit gerunzelter Stirn betastete er die Rückseite des Spiegelglases, vorsichtig, als befürchtete er, dasssie unter der Berührung zersprang. Zu ihrer Erleichterung sah er genauso aus, wie er sie verlassen hatte: das Gesicht gezeichnet von Kimis Schlägen und mit dem grob eingeritzten Rankenmuster auf dem Oberkörper, aber
ansonsten unversehrt.
Im Nu war Ella auf den Beinen und stand vor dem Spiegel, Gabriel so nah, dass sie nur noch die Hand ausstrecken musste. »Du hast es geschafft!«, schrie sie, außer sich vor Glück. »Komm zu mir, lass den Spiegel hinter dir!«
Doch Gabriel schien sie weder zu sehen noch zu hören. Zumindest nicht richtig, denn er drehte den Kopf, als habe
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