Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
ihn ein Echo erreicht, das er nicht recht verorten konnte. Dann betastete er abermals die Spiegelscheibe. Ella konnte die Stellen sehen, an denen seine Fingerkuppen auf dem Glas auflagen.
Er sucht nach einem Ausgang, wurde ihr bewusst. Es ist, als wäre er in einen gefrorenen See eingebrochen und hielte nun Ausschau nach der Einbruchstelle, um wieder auftauchen zu können. Entschlossen begann sie, mit den Fäusten gegen den Spiegel zu hämmern und laut seinen Namen zu rufen. Gabriel zuckte zusammen, dann drehte er sich um, und für einen Moment sah es so aus, als würde er in die Richtung gehen, aus der das Echo ihn erreicht hatte. Aber da berührte Ellas Faust seinen aufliegenden Handteller. Gabriel fuhr herum und sah ihr direkt in die Augen. Mit seinen Lippen formte er lautlos ihren Namen, dann lächelte er.
Ella ertappte sich dabei, wie sie vor lauter Erleichterung anfing, wirres Zeug zu reden, trotzdem konnte sie nicht damit aufhören. »Du bist da … du hast es geschafft … Gabriel …
mein Gabriel. Geh einfach hindurch. Bitte, versuch es doch.«
Fortwährend wiederholte sie seinen Namen, als ob es sich dabei um die Losung, die das Tor zur Traumwelt öffnen und ihn freigeben würde, handelte. Doch Gabriel stand nach wie vor hinter dem Spiegelglas und schlug nun seinerseits mit der Hand dagegen, ohne dadurch etwas zu bewirken. Außer dass ihm der Aufprall Schmerzen bereitete, denn er verzog das Gesicht, und eine leichte Blutspur blieb an der Oberfläche haften. Dann sah er sich um, und obwohl Ella nichts von der Umgebung, in der er sich befand, erkennen konnte, vermutete sie, dass er nach etwas Ausschau hielt, mit dem sich das Glas einschlagen ließ. Bevor er sich von ihr abwandte und vielleicht für immer aus ihrem Blickfeld verschwand, lehnte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Spiegelscheibe in der Hoffnung, hindurchzusinken und in die Traumwelt einzudringen, wenn Gabriel schon keinen Weg hinausfand.
Einen Moment lang stand er abwägend da, dann neigte er sich ebenfalls auf seiner Seite gegen die Barriere, die sie voneinander trennte.
Zuerst war da nur schneidende Kälte und eine Glätte, der nichts Lebendiges innewohnte.
Doch schon im nächsten Augenblick breitete sich eine Wärme aus, von der Ella annahm, sie stamme von ihrem Körper, der das Glas erwärmte. Dann begriff sie schnell, dass es Gabriels Berührung von der anderen Seite war, die sie erreichte. Als stünde er tatsächlich vor ihr, schmiegte Ella sich an das Glas, störte sich nicht länger an der anfänglichen Kälte, die Gabriel sogleich vertrieb. Sie legten ihre Finger aufeinander, und nur kurz schmerzte sie die Erkenntnis, dass es unmöglich war, sie ineinander zu verschränken. Langsam führte Ella ihre Lippen an das Glas, legte sie nur einen Hauch auf, wartete, bis die Wärme vonGabriels Lippen auf der anderen Seite zu ihr durchgedrungen war. Dann erst deutete sie einen Kuss an. Rasch wurde aus der verspielten Geste mehr, denn das Glas war schon lange nicht mehr ein Fremdkörper, sondern pulsierend und geschmeidig. Fast so, als würde sie wirklich Gabriels Mund auf ihrem spüren. Als sie ihre Lippen öffnete, stellte sie fest, dass es tatsächlich sein Mund war, der den Kuss erwiderte.
Überrascht setzte Ella zurück, und Gabriel folgte ihr, gezogen durch die Verbindung ihrer Lippen, die er offenbar nicht aufzugeben gedachte. Er schien sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass er den Spiegel gerade hinter sich ließ.
Ehe der Zauber zerbrach, umschlang Ella seinen Nacken. »Ich habe dich«, sagte sie
atemlos.
Für ein paar Herzschläge sah Gabriel sie lediglich verblüfft an, dann blickte er über seine Schulter. Dort war nicht etwa ein Spiegelbild zu sehen, das sie beide in einer Umarmung zeigte, sondern nur der Rahmen samt hölzerner Rückwand.
»Willkommen zu Hause.«
Mehr brachte Ella nicht hervor, denn Gabriel riss sie bereits wieder an sich. Eine Spur zu leidenschaftlich, sodass sie aufkeuchte. Seine Hände suchten sich umgehend einen Weg unter ihr Shirt. Sie fühlten sich kühl an, als hätten sie den Einfluss der Spiegelwelt noch nicht ganz abgestreift. Ella erwiderte die Umarmung, um ihn zu wärmen und sich zugleich zu bestätigen, dass er auch wirklich bei ihr war. Ein Gefühl, für das es keine Worte gab. Und doch … Wie gern wollte sie ihm sagen, wie schrecklich die letzten Stunden gewesen waren, wie überwältigend ihre Sorge. Aber Gabriel gab sie keinen Zentimeter frei. Er hielt sie an sich gepresst,
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