Dämonen zum Frühstück
ihn einredete. »Das ist absolut normal.«
Ich glaubte ihr (mehr oder weniger), aber das minderte nicht
mein schlechtes Gewissen. Ich hielt Timmy etwas von mir weg,
um sein Gesicht sehen zu können. »He, kleiner Mann. Bist du
bereit, nach Hause zu gehen?«
Er nickte, wobei er den Daumen nicht mehr aus dem Mund
nahm.
»Hat es dir heute Spaß gemacht?«
Ein weiteres widerstrebendes Nicken, aber zumindest fühlte
ich mich dadurch nicht mehr ganz so schlecht.
»Bevor Sie gehen, müssen Sie noch dieses Formular unterschreiben.« Sally hielt mir ein Schreibbrett unter die Nase. Ich
schob Timmy auf meine Hüfte und überflog das vorgedruckte
Formular. Oben stand in großen Buchstaben »Unfallbericht«
geschrieben.
»Was ist passiert? Ist er verletzt?« Ich sah Timmy an. »Bist du
verletzt?«
»Nein, Mami«, sagte er. »Nicht Cody beißen. Nein. Nicht
beißen.«
Meine Wangen glühten. »Er hat jemanden gebissen?« »Nicht sehr schlimm«, versicherte mir Sally. »Der Zahnabdruck ist bereits wieder verschwunden, und er und Cody haben
danach den ganzen Nachmittag zusammen gespielt.« »Er hat so fest zugebissen, dass es einen Abdruck gab?« Ich
merkte, dass ich lauter geworden war, aber es fiel mir schwer,
das zu akzeptieren. Mein Sohn gehörte zu den Beißern? Mein
kleiner Junge war ein Problemkind? »Aber Nadine hat doch
gesagt, dass es ganz toll lief.«
»Oh, das tat es auch. Wirklich. So ein Verhalten ist für Kinder, die neu hier sind, nichts Ungewöhnliches. Und es wird
auch kein Problem geben, wenn es nicht wieder passiert. Und
wenn sich Codys Eltern nicht beschweren.« Sie hob eine Hand,
um mich zu beruhigen. »Aber das werden sie nicht. Cody war
selbst auch einmal ein Beißer.«
Da war es. Die Schublade: Beißer. Ich hatte einen Beißer
großgezogen.
Nachdem Sally einige Minuten lang beruhigend auf mich
eingeredet hatte, begann ich allmählich zu glauben, dass der
Tag bisher doch keine völlige Katastrophe darstellte. Timmy
hatte nämlich nicht nur seinen neuen Spielkameraden gebissen,
sondern er hatte auch Freunde gewonnen, Lieder gesungen und
eine ganze Stunde mit Fingerfarben verbracht. Was konnte ein
kleines Kind mehr verlangen?
Schließlich gingen wir Hand in Hand zum Ausgang. Als wir
die Tür erreichten, hob er sein kleines Gesicht und sah mich aus seinen großen braunen Augen an. »Ich hab’ dich lieb, Mami«, sagte er. Ich schmolz dahin. Er mochte vielleicht ein Beißer sein, aber er war auch mein süßes Baby. »Nach Hause, Mami?
Gehen wir nach Hause?«
»Bald, junger Mann«, erklärte ich. »Aber vorher müssen wir
noch schnell etwas erledigen.« Ich hatte nicht bemerkt, dass ich
mich bereits entschieden hatte, ehe ich diese Worte aussprach.
Aber als ich Timmy so von ihm fremden Menschen umgeben
gesehen hatte, war ich auf einmal entschlossen: Ich konnte
Eddie nicht allein lassen. In seinem Zustand würde er vielleicht
die Geheimnisse der Forza verraten, und das durfte nicht geschehen.
Außerdem befürchtete ich, dass Eddie recht hatte. Es gab bestimmt Dämonen im Altenheim Coastal-Mists. Und jeder von
diesen düsteren Kreaturen wäre mehr als interessiert, genau zu
erfahren, was sich hinter der Forza verbarg und was in Eddies
Gedächtnis vergraben war. Es war ein Wissen, das Eddie oder
auch mich und meine Familie in Todesgefahr bringen konnte.
Außerdem beschützten Jäger ihre Kollegen. An diese Regel
hatte ich mich immer gehalten, und selbst jetzt, obwohl ich
mich aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen hatte, konnte
ich mein Pflichtgefühl nicht einfach ignorieren. Ich musste
diesem Mann helfen.
Also fuhren Timmy und ich zum Altenheim zurück, um
meinen Kollegen zu holen. Was ich mit ihm tun würde, wenn
ich ihn erst einmal von dort befreit hatte … Na ja, so genau
wusste ich das auch noch nicht.
FÜNFZEHN
»Wer ist er?« Obwohl Stuart flüsterte, schien seine Stimme in der ganzen Küche widerzuhallen. Ich bat ihn wild gestikulierend, still zu sein, und hoffte, dass Eddie ihn nicht gehört hatte.
Doch so viel Glück hatte ich nicht.
»Ich bin dein Großvater, Bursche«, rief Eddie laut aus dem Wohnzimmer. (Zumindest wussten wir nun, dass sein Gehör funktionierte.) »Und ein bisschen mehr Manieren, wenn ich bitten darf.«
Während mich Stuart aus großen Augen ansah, schloss ich die meinen und zählte bis zehn. Dann öffnete ich sie wieder und hoffte, dass mein Wunsch in Erfüllung gegangen war und unser Leben ruhig und wundervoll dahinplätscherte, meine Probleme gelöst waren und meine Familie
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