DÄMONENHASS
Gesicht dieses längst vergessenen Vorfahren musste eine wahrhaft machtvolle Gabe gewesen sein, dass Spuren von ihr sich durch all die Sonnaufs und Sonnunter, die seither vergangen waren, erhalten hatten. Doch das war lange her, und heute war alles anders.
Die geringen Überbleibsel jener Begabung schienen sich seit jener Zeit erschöpft zu haben, als das Tor Tod und Verderben gespien und einen Schlussstrich unter das letzte Kapitel der Wamphyri gezogen hatte. Vielleicht ... rann jene Macht aber auch ungebrochen weiter durch seine Adern und war in den letzten Jahren nur nicht gebraucht worden. Denn es gab ja keine Wamphyri mehr!
Doch warum machte sie sich jetzt wieder so unangenehm bemerkbar? Und warum hörte sie nicht auf, ihn zu quälen?
Während des langen Heimwegs hatte er geschlafen und geträumt, und sämtliche Schlafgesichte waren Albträume gewesen, aus denen er mit aufgerissenen Augen, knurrend und keuchend erwacht war. Bis seine vier Reisebegleiter ihn schließlich sogar, als er wach war, brummen hörten: »Fledermäuse, oh ja – die großen Desmodus-Fledermäuse der Sternseite.« Dabei hatten sie ihn heftig nicken gesehen.
»Was hast du denn?«, wollte Andrei Romani wissen, als sie sich Siedeldorf in der Stunde, bevor der Abend dämmerte, näherten. Die Jungen waren schon vorausgeeilt, um sich mit ihren Freunden am Lagerfeuer zu treffen. Nestor und Jason wollten wahrscheinlich ein wenig tanzen, der Musik lauschen, sich das Essen munden lassen und sich einfach ein bisschen unterhalten, eben der schieren Lust am Szganyleben frönen. Nathan dagegen suchte die Gesellschaft seiner Mutter.
»Nichts!«, fauchte Lardis, und fast im gleichen Atemzug fügte er hinzu: »Nun gut, wenn du es unbedingt wissen willst: Meine Träume bedrücken mich. Und der Dunstnebel. Und der Rauch von all den Feuerstätten dort vor uns. Das geschäftige Treiben von Siedeldorf! Wir sind noch fast eine Meile entfernt, und der Lärm dringt bis hierher! Was soll das alles? Kennt die Welt etwa keine Vorsicht mehr? Wollen sie das Schicksal versuchen? Wissen sie nicht, welche Stunde wir haben und dass bald Sonnunter ist?«
Er richtete seinen Blick auf den vom Boden aufsteigenden Nebel, den Wald, der bereits im Zwielicht lag und schließlich auf Andrei, der seinen Blick erstaunt erwiderte. »Wo ist die Wache?«, fuhr Lardis fort. »Kein einziger Wer-da-Ruf! Wir haben weder Mann noch Jüngling oder Wolf zu Gesicht bekommen, seit wir vor über einer Stunde in das Gebiet der Lidesci gelangt sind!«
Andreis Erstaunen war echter Besorgnis gewichen. »Die Wache?«, wiederholte er. »Mann, du selbst hast die Wache doch schon vor zehn Jahren abgezogen! Aber die Grenzmarkierungen unseres Gebietes sind wohl gepflegt, und wir haben seit ... ich weiß nicht wann ... keinen Grenzstreit mehr gehabt. Wieso also brauchen wir nach all der Zeit auf einmal wieder eine Wache?«
Lardis blinzelte, und langsam wich die Wut aus seinem Blick. Er zwinkerte abermals, runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich ... ich habe das getan? Ich habe tatsächlich die Wache abgezogen? Ja ... ja, natürlich.« Einen Moment lang wirkte er erschüttert, verwirrt, unsicher ...
... doch schon im nächsten Augenblick war die Leidenschaft von Neuem entflammt, und mit ihr kehrte die grimmige Entschlossenheit seiner Jugend zurück. Er warf einen vielsagenden Blick auf den sich verfinsternden Himmel, an dem jenseits des Grenzgebirges, über der Sternseite, bereits die ersten Sterne funkelten, sog argwöhnisch die Abendluft ein und starrte mit durchdringendem Blick auf den sich aus den Wäldern hebenden Bodennebel. Ungläubig knurrte er: »Welch ein gewaltiger Narr ich doch gewesen bin! Ich habe die Wache abgezogen! ... Und jetzt muss ich sie wieder aufstellen!«
Andrei Romani erkannte das visionäre Feuer wieder, das in Lardis brannte. Zu einer Zeit, in der Anführer dünn gesät waren, hatte es ihn zu einem wahrhaft großen Stammesführer gemacht. Doch was einst die Männer beflügelt hatte, ließ Andrei nun einen Schauer über den Rücken laufen. »Was ist, Lardis?«, raunte er und packte den anderen am Arm. »Was hast du auf diesem Vorsprung im großen Pass gesehen? Ich kenne dich besser als jeder andere, und seit du dort hinaufgestiegen bist, um die Sonne auf die Mauern der Karenhöhe scheinen zu sehen, bist du nicht mehr derselbe.«
Lardis spürte, wie Andreis Finger sich in seinen Arm gruben, blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Er blickte Andrei fest in die
Weitere Kostenlose Bücher