DÄMONENHASS
der Feierlichkeiten.
Schließlich zogen sich die beiden mit einem Krug Wein und zwei silbernen Bechern auf ein paar Stühle in der Ecke einer alten Steinmauer zurück. Sie waren nicht mehr wichtig; Lardis Lidesci und Andrei Romani waren die Hauptpersonen, und ihre Ankunft stand unmittelbar bevor. Bis dahin konnten Jason und Nestor sich unterhalten.
»Manchmal bereitet mein Vater mir Sorgen«, gestand Jason, nachdem er den Staub der Reise mit einem Mund voll süßen Weines heruntergespült hatte.
»Hah!«, grunzte Nestor. »Frag mich doch mal – mein Bruder bereitet mir ständig Sorgen!« Es klang mürrisch – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Rede wieder auf Nathan gekommen war.
Jason überraschte das kaum. »Du gehst mit ihm zu hart ins Gericht«, sagte er.
»Meinst du?« Nestor hob eine Augenbraue. Er war achtzehn Monate älter als Jason und hielt Lardis’ Sohn für klug, jedoch unbedarft, kaum die rechte Art Mann, eines Tages die Führung des Klans zu übernehmen, und gewiss nicht stark genug, ihn zusammenzuhalten und ihm Bedeutung zu verschaffen. Jason grübelte zu viel und war kein Mann der Tat. »Aber Nathan geht mit mir nicht zu hart ins Gericht, nicht wahr?«
»Nathan und hart?« Jetzt war Jason doch überrascht. »Aber er ist so weich wie ein Kind!«
Nestor nickte. »In einigen Dingen ist er ein Kind, stimmt schon. Und in anderer Hinsicht ist er ein Schwachkopf, ganz gleich, was dein Vater denkt! Aber ich bin sein Bruder, daher kenne ich ihn besser als jeder andere, und er hat noch etwas anderes, Unheimliches an sich.«
»Ach ja?«
Nestor nickte. »Wie du weißt, sind wir Zwillinge. Zwar von unterschiedlicher Art, aber unsere Verwandtschaft geht tiefer als die von üblichem Fleisch und Blut. Viel tiefer.« Abermals nickte er, doch zornig nun, wenn nicht wütend. »Ich meine, es würde mir nichts ausmachen, dass Nathan im Schlaf von all diesen sonderbaren Dingen träumt oder dass er in seinen Tagträumen lebt – wenn er mich nur damit in Ruhe ließe!«
»Aber das betrifft dich doch nicht!«, sagte Jason verdattert. »Was hat das denn mit dir zu tun? Also, ich habe noch nie Brüder gesehen, die so verschieden sind wie ihr beide!«
»Hah!«, schnaubte Nestor wieder. »Aber hier oben«, er tippte sich an die Stirn, »in unserem Geist sind wir uns ähnlich genug.« Er beugte sich vor. »Hör zu, ich sage dir jetzt, wie es, seit ich denken kann, zwischen uns gewesen ist.« Er überlegte einen Augenblick.
»Unter anderem«, begann er, »träumt mein Bruder von Zahlen, ganzen Wellen von Zahlen, alle ohne Bedeutung, die in seinem Kopf wie ein aufgewühlter Fluss umherwirbeln! Es gibt da – ach, ich weiß nicht – dieses großartige ›Geheimnis‹ dahinter, das er entdecken möchte; nur hat er keine Ahnung, wie er das anstellen soll. Also geht er im Schlaf diese Zahlen wieder und wieder durch und versucht ihre geheime Bedeutung zu entschlüsseln. Alles gut und schön, darüber würde ich mich auch nicht beschweren – wenn er seine Träume nur für sich träumen würde!«
»Was?«
Nestor nickte. »Frag mich nicht nach dem Wie, aber ich ›höre‹ seine Träume! Ich kann ihn in meinem Kopf sehen, ich spüre, wie er sich in diesen verdammten Zahlen verliert! Für mich bedeutet eine Zahl nichts weiter als die Anzahl der Fische, die ich gefangen habe. Dividieren ist das Aufteilen der Jagdbeute, wenn ein Tag zu Ende geht, und Multiplikation ist das, was die Kaninchen machen. Alles, was ich an Gelehrsamkeit brauche und auch je verwenden kann, habe ich schon als Kind erhalten. Wenn ich etwas nicht an Fingern und Zehen abzählen kann, interessiert es mich nicht. Ich gehöre nicht zu den so genannten ›Weisen‹, die mit Runen spielen und auf Schiefertafeln herumkratzen, um alles festzuhalten und unsere Geschichte aufzuzeichnen oder die Entfernung zum Mond auszurechnen, den sie für eine andere Welt halten. Wenn die Dinge, die wir heute tun, Geschichte sind, bin ich nicht mehr. Und was die Entfernung zum Mond angeht: Wem soll dieses Wissen schon nützen außer den Wölfen, die ihre Herrin anheulen?«
Jasons Interesse war geweckt. »Du hörst wirklich seine Träume?«
»Nicht alle.« Nestor zuckte die Achseln und fragte sich auf einmal, ob er nicht zu viel preisgab. »Sein Verstand ist so tief wie ein Brunnen, und er hält eine Menge verborgen. Aber auch so wimmelt es in seinen Gedanken von fernen Welten und toten Menschen ... und natürlich Zahlen! Ich will ja gar nicht wissen, was dahinter steckt,
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