DÄMONENHASS
Anführer sein wird.«
»Sollte ich mich dann etwa vor einem alten Freund fürchten?« Jason blickte nun ebenso finster wie Nestor. »Oh ja, vielleicht sollte ich das.« Er zuckte die Achseln und wandte sich ab. »Jedenfalls ist es höchste Zeit, dass ich nach Hause gehe. Meine Mutter wird schon auf mich warten.«
Für einen Augenblick veränderte sich Nestors Miene und wurde weicher. Doch dann richtete er sich auf und drehte Jason den Rücken zu, als dieser sich abrupt zum Nordtor und dem dunklen Vorgebirge wandte. Und während sein junger Freund aus Kindertagen verstört und verärgert davonschritt, kaute Nestor auf der Unterlippe herum und sah hierhin und dorthin, vielleicht, um ihm nicht nachzurufen, er solle zurückkommen ...
Mittlerweile waren zahlreiche Menschen auf der alten Versammlungsstätte zusammengeströmt. Am Osttor entstand Bewegung und Rufe wurden laut. Lardis und Andrei waren angekommen. Aber in der Menschenmenge war keine Spur von Misha zu sehen. Wo war sie? Und wo steckte Nathan?
Nestor nahm den Krug, leerte ihn in einem Zug und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.
Heute Nacht!, schwor er sich. Heute Nacht werde ich die Sache mit Misha ein für alle Mal klären. Oder ich werde sie mir vornehmen, so oder so. Und wenn Nathan auch nur irgendetwas von einem Mann an sich hat – falls er sich überhaupt um sie schert –, vielleicht wird er dann endlich kläffen und die Zähne zeigen!
Jason war durch das Nordtor in die Nacht verschwunden und hatte sich auf den Weg zu Lardis’ Hütte oben auf der Anhöhe gemacht. Aber hier in Siedeldorf ... Was war da los? Ein schrecklicher Tumult und laute Rufe. Wütende, zornige Rufe! War das Lardis, der da wie ein brunftiger Hirsch röhrte? Das konnte nur er sein. Seine Stimme war unverkennbar.
Nestor drängte sich durch die dichter werdende Menge, um festzustellen, worum es eigentlich ging ...
ZWEITES KAPITEL
Etwa zwei Stunden zuvor und nicht ganz zwanzig Meilen
weiter östlich ...
... stieg die Lady Wratha aus dem Sattel ihres Fliegers und betrat eine Hochebene, die von den letzten Sonnenstrahlen noch warm war.
Sie trat an den Rand und blickte aus verschleierten Augen auf die Lichter einer Szgany-Stadt, die sich in den Windschatten des Grenzgebirges schmiegte, sah hinab auf die Lichter von Zwiefurt ... und lächelte. Sie lächelte mit dem Entzücken eines jungen Mädchens und gierte nach Zwiefurt mit dem gesamten Bösen eines uralten Schreckens.
Während sie am Rand des Plateaus darauf wartete, dass ihr kreisender Haufen Abtrünniger sich Landeplätze auf der mit kargem Gras bewachsenen Felsebene hinter ihr suchte, blickte sie auf die Sonnseite, die im Dämmerlicht des frühen Abends lag – ein Anblick, der Wamphyri-Augen seit vierzehn Jahren nicht zuteil geworden war – und ließ ihre Gedanken eine Weile zurückschweifen – zu ihrer Flucht aus Turgosheim über die Große Rote Wüste, entlang dieser unbekannten Gebirgskette und tief in die Alte Sternseite hinein ...
Im Unterschied zu Turgo Zoltes Flucht zur Zeit von Shaitan dem Ungeborenen verlief diejenige Wrathas vergleichsweise unkompliziert. Während Turgo verfolgt worden war und sich keine Erholungspause gönnen konnte, hatte Wratha keine solchen Widrigkeiten zu bestehen. Das war auch ganz gut so! Ihre Flieger waren keine großen Strecken gewöhnt, und trotz ihrer Prahlerei im großen Saal der Vormspitze waren ihre Luftkrieger alles in allem noch unerprobt. Oh, niemand konnte bezweifeln, dass es sich um hervorragende Kampfmaschinen handelte, aber was ihre Flugfertigkeit betraf, hatten sie keine Gelegenheit gehabt, diese am Himmel über Turgosheim auf die Probe zu stellen.
Letztlich war jedoch an ihrer Leistung nur wenig auszusetzen. Sämtliche Flieger hatten die Durchquerung geschafft, und von den Kriegern war nur einer verloren gegangen.
Sie hatten vorgehabt, sich am Westrand der kleinen Bergkette, zu der Turgosheim gehörte, zu ›kräftigen‹ und mit den Aufwinden aus der Sonnseite so hoch wie möglich zu steigen, bevor sie den langen Gleitflug gen Westen antraten. Sie konnten natürlich nur bis zu jener Höhe aufsteigen, in der die hinter der Krümmung der Welt hervorbrechenden Sonnenstrahlen ihre Flugbahn kreuzten. Anfangs war dies nicht sehr hoch gewesen, denn die träge Sonne war erst vor Kurzem untergegangen. Der zweite Abschnitt trat dann ein, wenn laut den Berechnungen die Kräfte der Krieger zur Hälfte erschöpft waren. Zu jenem Zeitpunkt sollten sie so hoch aufsteigen,
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