DÄMONENHASS
genau das ist es: Misha. Sie liebt uns beide, aber wen liebt sie mehr? Wenn ich es bin, dann deshalb, weil ich ein Mann bin und mich um sie kümmern kann. Wenn es Nathan ist, dann deshalb, weil er noch ein Kind ist und man sich um ihn kümmern muss! Ein echter Rivale würde mir nicht allzu viel ausmachen, mit so einem könnte ich fertig werden. Aber mit Nathan? Mit meinem lächerlichen, sprachlosen oder bestenfalls stotternden, bleichen, stoppelblonden Bruder?«
Jason nickte. »Jetzt verstehe ich, warum ihr euch auseinander gelebt habt. Ich habe es kommen sehen, schon vor vier oder fünf Jahren. Aber ich verstand nicht recht, worum es ging.«
Nestor war in Gedanken versunken und hörte ihm kaum zu. »Es gab Zeiten«, brach es aus ihm heraus, »da hätte ich sie mir einfach nehmen können – sogar mit Gewalt!« (Jason blickte erschrocken und schockiert drein.) »Vielleicht hätte ich es tun sollen. Das hätte alles ein für alle Mal geklärt. Aber Nathan ... Nathan ... Verdammt soll er sein! Ich weiß, dass er sie nur anlächeln muss, einfach nur anlächeln und ... und ...«
Jason starrte ihn an. »Und weiß er das auch? Was denkst du?«
Nestor setzte sich abermals auf und stürzte seinen restlichen Wein hinunter. »Nein«, sagte er. »Er hat keine Ahnung. Jetzt weißt du, warum ich ihn für einen Idioten halte. Er träumt die ganze Zeit von anderen Welten, unaufhörlich sucht er den Sinn des Lebens in einer Hand voll Zahlen – aber was sie betrifft, ist er unfähig, zwei und zwei zusammenzuzählen! Und wenn er es könnte – oder jemals täte –, was dann? Ich kann ihn schon jetzt kaum noch ertragen. Wie sollte ich es aushalten, wenn die beiden je zusammenkommen? Misha und Nathan! Wer würde dann als Idiot dastehen?«
»Was wirst du tun?« Jason hatte die Sorge um seinen Vater schon fast vergessen.
Nestor goss neuen Wein in die Becher, griff zu und trank, als sei es Wasser. »Ich werde sie fragen, ob sie mich heiraten will, und zwar schon bald«, antwortete er. »Nein, ich werde ihr sagen, dass sie mich heiraten wird!«
»Und wenn sie nein sagt?«
»Dann gehe ich fort, weg aus Siedeldorf, und verlasse die Szgany Lidesci für immer! Was gibt es hier denn für mich? Du bist der nächste Stammesführer. Soll ich meine Tage etwa als Jäger verbringen, am Lagerfeuer alt werden, dort herumsitzen und Geschichten erzählen wie dein Vater? Entschuldige, Jason, aber das ist nichts für mich. Und welche Geschichten hätte ich schon zu erzählen? Wie ich eines Tages einen Fisch fing, einen Bolzen in einen Hasen jagte oder einen Wolf aufspießte, als er sich an meine Tiere heranmachte? Nein, die Zeit der Abenteuer ist mit den Wamphyri verschwunden. Ich wünschte mir, dass sie wiederkämen – das habe ich mir immer schon gewünscht! Was bringt es denn, stark zu sein in einer Welt, in der noch der Schwächste mir ebenbürtig ist? Ich muss mir einen Namen machen, aber wie? Und wo? Sicher nicht hier. Und nicht ohne Misha ...«
»Du bist ehrgeizig«, stellte Jason fest. Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.
»Und was ist daran falsch?«
»Es gefällt dir nicht besonders, dass ich eines Tages Anführer des Stammes sein werde.«
Plötzlich stand Nestor auf, schwankte ein wenig und hielt sich mit beiden Händen am Tisch fest, um das Gleichgewicht zu wahren. Die Reise war lang gewesen, und er war müde – sie waren beide müde – und der Wein war stark. »Vielleicht gefällt mir kaum noch irgendetwas an Siedeldorf«, sagte er mit schwerer Zunge. »Vielleicht sollte ich ohnehin verschwinden. Im Westen lässt es sich gut sein, und weit im Osten gibt es neue Gebiete. Man sagt sogar, dass es hinter der letzten Öde noch mehr Land gibt. Aber das Grenzland wird immer kleiner, und die Zeit verrinnt.«
»Du nimmst also Misha und gehst fort?«
Nestor schnaubte und schüttelte den Kopf. »Nein! Sie hat zwei Brüder, und beide sind große, starke Jungens! Also liegt die Entscheidung für den Augenblick noch bei ihr. Aber ich werde trotzdem gehen, ob mit oder ohne Misha. Und wenn Letzteres, dann kannst du sicher sein, dass ich eines Tages zurückkehre.«
Nun stand auch Jason auf. Er wich jedoch einen Schritt zurück. »Dass du zurückkehrst? Und warum klingt das wie eine Drohung? Willst du etwa eine Armee mitbringen? Um Misha zu rauben? Oder ... hast du es auf das Gebiet meines Vaters abgesehen?«
»Machst du dir Sorgen?« Nestor verzog das Gesicht. »Um Lardis? Aber du bist doch derjenige, der dann wahrscheinlich der
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