DÄMONENHASS
verliehen. Und diese Züge waren gewiss die einer Frau gewesen; denn Wratha wusste wohl, dass, obwohl alle Wamphyri-Lords eitel waren, nur die allereitelsten je ihre Wände derart geschmückt hätten.
Denn im Allgemeinen wurden Spiegel für gefährlich erachtet. Immerhin hatten sie in alten Zeiten nicht nur das Leben widergespiegelt, sondern – in Form von Sonnenlicht – ebenso gut auch den Tod! Vor langer Zeit, auf der Sonnseite von Turgosheim, hatte Wratha selbst einen silbernen Spiegel besessen, und zwar ungeachtet des Umstands, dass solche tödlichen Gegenstände und Metalle den Szgany seit undenklichen Zeiten verboten waren. Nun, jetzt konnte sie wieder ihr Gesicht betrachten und erneut die Schönheit bewundern, die ihr seit über einem Jahrhundert eigen war. Sie fragte sich, wer wohl zuletzt in diese Spiegel geblickt hatte. Ob sie schön gewesen war?
Zweifellos hatte sie eine schlanke Gestalt besessen! Denn im größten Schlafraum der geräumigsten Suite des zweitobersten Stockwerks fand Wratha mehrere Kleider, beziehungsweise das, was von ihnen übrig geblieben war. Sie zerfielen allmählich, doch falls Wratha allein und in entsprechender Stimmung gewesen wäre ... Sie war sicher, dass sie ihr stehen würden. Also war sie gut gebaut gewesen, diese Lady, und jung dazu. Zumindest hatte sie äußerlich jung gewirkt.
Ihr Bett stand immer noch da. Es war hoch und breit, aus dicken Platten gebaut, und die polierten Holzstufen und das mit Schnitzereien verzierte Kopfteil waren noch erhalten. Von der hohen Decke hingen an Ketten hölzerne Stangen mit goldenen Ringen, an denen einst die herrlichsten Szgany-Vorhänge befestigt gewesen waren. Doch nun war alles fort, zu Staub zerfallen, und an ihrer Stelle hingen dicke Spinnweben herab. Auch das Bettzeug war von Flechten und pelzigem Schimmel überzogen.
Und der Rest des Raumes ...
Es gab ein Wasserbecken aus Onyx, in das Knochenrohre aus den Außenrinnen des Daches oder aus dem Raum eines seit Langem vertrockneten Leitungswartes führten. Auf schmalen Regalen aus abgenutztem Knorpel lag allerlei wertloses Zeug und Nippes unter einer zentimeterdicken Staubschicht; das meiste davon stammte von den Szgany. Da waren Trockengestelle, unter denen Gasdüsen angebracht waren. Heizrohre führten zu einem großen, steinernen Badebecken, das gut und gerne zwei Personen Platz bot.
Mit wem hatte sie es geteilt, fragte sich Wratha und gestattete sich dabei ein Lächeln. Oder war sie in jeder Hinsicht eine Lady gewesen? Doch nein, Wratha wusste alles über die ›Ladys‹ der Wamphyri. Diese hier hatte sich nichts versagt, sondern all ihre kleinen Freuden genossen. Diese hier hatte gelebt!
Wratha sog die Luft ein, während sie durch die weiten Räume schritt, und fühlte sich hier mehr und mehr zu Hause. Zugleich hatte sie jedoch das Gefühl, dass die fünf an ihrer Seite ihr zunehmend wie Eindringlinge in ihrer Privatsphäre erschienen.
»Raus mit euch!«, fauchte sie ihre Gefährten schließlich an. »Das ist meine Stätte. All die oberen Stockwerke, die wir erkundet haben, gehören mir!«
»Waaas?«, brauste Gorvi der Gerissene auf. »Bist du wahnsinnig geworden? Hier oben ist doch für uns alle Platz genug! Auch für unsere Offiziere und für jeden Knecht, den wir in unseren Dienst zu nehmen gedenken!«
Trotz seiner wütenden Worte klang die Stimme des Gerissenen so glatt wie immer. Er war hoch gewachsen und schlank, das Haupt kahl geschoren bis auf eine einzige Locke, die ihm zu einem Knoten gebunden in den Nacken hing. Er war stets in Schwarz gekleidet, sodass der Kontrast zu seinem fahlen Fleisch ihn wie einen frisch von den Toten Auferstandenen wirken ließ. Seine Augen waren so tief eingesunken, dass sie kaum mehr waren als ein blutroter Schimmer. Dennoch entging ihnen nichts – das war Gorvi. Er mochte unheimlich sein, doch wer unter den Wamphyri war das nicht? Und Wratha schüchterte er schon gar nicht ein.
» Meine Offiziere!« Sie zog die Nase kraus und starrte ihn böse an. »Und alle Knechte, die ich in meinen Dienst zu nehmen gedenke! Aber ... habe ich gerade gehört, dass du mich wahnsinnig nennst?« Sie richtete ihren funkelnden Blick auf die
Brüder Wran den Rasenden und Spiro Todesblick. »Der Wahnsinn ist doch eher ihr Fachgebiet, oder?« Ihre blutrot glühenden Augen schweiften zu Canker Canisohn, der wie ein Hund umherschlich und den Boden beschnüffelte. »Und was ihn betrifft, bin ich mir auch nicht allzu sicher!«
»Hör schon auf mit diesen
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