DÄMONENHASS
anstrengende Reise hinter uns, und bis die Sonne wieder untergeht, sollte uns nichts weiter beunruhigen. Sucht euch also Schlafstätten – etliche Stockwerke tiefer, schlage ich vor – und holt euren versäumten Schlaf nach. Bei Anbruch der Nacht haben wir alle reichlich zu tun.«
»Auf der Sonnseite?«, feixte Canker und zwinkerte ihr zu.
»Oh ja«, erwiderte sie. »Wo sonst?«
Und dieses Versprechen war es gewesen, das sie mehr als alles andere besänftigte ...
Schließlich war es Sonnunter geworden, und scheinbar war keine Zeit vergangen.
Denn Wratha und die anderen waren so erschöpft gewesen wie nie zuvor in ihrem langen Leben und hatten tief und traumlos geschlafen, ohne auch nur ein einziges Mal dem Ruf der Natur folgen zu müssen. Letzteres war nichts Besonderes. Der Stoffwechsel der Wamphyri vergeudete nur wenig; was nicht verbraucht wurde, wurde umgewandelt.
Kurz vor der Dämmerung wäre Wratha beinahe erwacht. Eine sonderbare Stimmung oder Furcht versetzte sie oder vielmehr den Vampir in ihr in Unruhe. Als sie die Augen aufschlug, glaubte sie einen Moment lang, die Sonne durch die unverhangenen Fenster hereinstrahlen zu sehen! ... Aber es war nur das Mondlicht! Sie stützte sich auf und sah die Nordlichter über den Eislanden wabern. Die öde Gerölllandschaft der Sternseite nahm eine eintönige, graue Aschenfarbe an, als der Mond hinter den Wolken verschwand. Als Wratha dann einfiel, dass sie ihr Schlafgemach in einem Zimmer der Nordseite eingerichtet hatte, entspannte sie sich wieder. Und als sie Cankers trauriges Geheul vernahm, das aus irgendeinem seiner finsteren Gemächer zu ihr empordrang, wusste sie, was sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Beruhigt schlief sie wieder ein.
Doch als sie erneut erwachte, geschah es aus einem Wissen heraus! Sie wusste, dass das letzte goldene Funkeln von den Gipfeln des Grenzgebirges gewichen war, dass die gesamte Sternseite in Schatten gehüllt lag und dass die anderen sich regten und von der hereinbrechenden Nacht aus dem Schlaf gerissen wurden. Von einem Moment auf den anderen schlug sie die Augen auf und fuhr sich mit der gespaltenen Zunge genießerisch, dürstend über die Lippen.
Sonnunter! Nun würde sie sehen, was dieses neue und doch uralte Land zu bieten hatte.
Wratha wusste, dass die anderen ebenso begierig wie sie darauf waren, endlich auf die Jagd zu gehen, und verlor daher keine Zeit. In den Flugrampen traf sie auf Gorvi und Vasagi, die ihren Offizieren Anweisungen gaben und ihre Tiere weckten. Kurz darauf stießen Canker, Wran und Spiro zu ihnen. Gorvi hatte schlechte Laune.
»Der Aufstieg ist mörderisch!«, beschwerte er sich. »Den mache ich nicht noch einmal. Während der Rest von euch geschlafen hat, bin ich hinabgestiegen und habe die Runde durch meine Behausung gemacht. Dabei habe ich etwas festgestellt, was ihr nicht mitbekommen habt, dass nämlich die Sonne nur auf diese oberen Stockwerke scheint. Wratha, du kannst sie gerne haben! Unten habe ich eigene Flugrampen und Stallungen für meine Flieger. Wenn wir zurückkommen, bringe ich meine Tiere nach unten. Und du hast recht, was die Brunnen betrifft: Sie sind verdorben. Sobald ich das notwendige Material dazu habe, werde ich eine Kreatur erschaffen, die den Schleim frisst und das Wasser reinigt.«
»Du hast also keine Beschwerden?« Wratha war zufrieden.
Gorvi zuckte die Achseln und erwiderte mürrisch: »Nur dass ich im Keller hausen und die Brunnen versorgen muss, damit wir alle uns in ihr Wasser teilen. Was meine Stockwerke angeht, die Zimmer und ihre Einrichtung: Sie sind wohl ausgestattet oder werden es sein. Doch das ganze Gerede über Verantwortung hier und Arbeiten dort veranlasst mich zu der Frage, worin eigentlich deine Pflichten bestehen, Wratha? Ich meine, da du jetzt doch gewissermaßen an die Spitze aufgestiegen bist ...«
»Ich werde die Leitungswarte beherbergen und warten«, erwiderte sie rasch. »Ein Anwesen von diesen Ausmaßen wird mehr als einen benötigen, denn was nützt uns das Wasser, wenn wir es nicht verteilen können?« Sie warf Gorvi einen finsteren Blick zu. »Oder willst du etwa andeuten, dass ich mich vor der Verantwortung drücke?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich den Brüdern Wran und Spiro zu. »Habt ihr eure Stockwerke ebenfalls schon besichtigt?«
Obwohl sie einander körperlich glichen (oder vielleicht gerade deshalb), trugen die Zwillingsblutsöhne des Eygor Todesblick einander vollkommen entgegengesetzte Haltungen und
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