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DÄMONENHASS

DÄMONENHASS

Titel: DÄMONENHASS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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zurückkehrte.
    Nathan war sicher, dass er nicht träumte. Träume waren für ihn etwas Besonderes, und das hier war keiner. Nein, dies war die Zeit zwischen Schlaf (oder Bewusstlosigkeit) und Erwachen, jene Spanne, in der die wirkliche Welt sich wieder aufdrängt und der Geist den Körper auf ein greifbareres Dasein vorbereitet. Er versuchte sich daran zu erinnern, was geschehen war, unmittelbar bevor die Welt einstürzte, damit er wusste, was er zu tun oder zu lassen hatte, wenn sich alles wieder zusammenfügte.
    In solchen Augenblicken, jenen Momenten kurz vor dem Erwachen, in denen sein Geist wieder aus den bodenlosen Tiefen des Unterbewusstseins auftauchte, kam es vor, dass er etwas hörte. Manchmal konnte Nathan hören, wie die Toten in ihren Gräbern sprachen. Dann staunte er über das, was sie sagten, bis sie ihn bemerkten und verstummten.
    Es war nicht unbedingt so, dass sie Nathan fürchteten. Vielmehr waren sie sich nicht sicher, mit wem sie es zu tun hatten, und hielten sich daher bedeckt. Das war auch verständlich, denn nach ihren Begriffen war es noch gar nicht so lange her, dass in dieser Welt Kreaturen, böser als jeder Mensch, ihr Unwesen getrieben und unter Lebenden und Toten gleichermaßen gewütet hatten. Unter den Lebenden um des Blutes willen, das das Leben ist, und unter Letzteren um des Wissens willen, das diese mit ins Grab genommen hatten. Kreaturen, Wesen, deren fremdartige Natur, deren Zustand , weder Leben war noch Tod war, sondern irgendwo dazwischen lag in einem wallenden, sonnenlosen Niemandsland, das Untod genannt wurde! Es waren die Wamphyri gewesen, die den einen oder anderen Nekromanten hervorgebracht hatten. Dies zählte zu den wenigen Dingen, vor denen die Toten sich fürchten. Deshalb betrachtete die Große Mehrheit Nathan mit Argwohn.
    Davon wusste er jedoch nichts, nur dass er manchmal etwas von ihren Gesprächen aus den Gräbern aufschnappte und dass sie sehr geheimniskrämerisch taten, was ihn betraf. Er glich jemandem, der gezwungen war, durch ein Schlüsselloch zu blicken, ob er es nun wollte oder nicht.
    Obwohl Nathan sie zu hören vermochte und sich vielleicht sogar mit ihnen hätte unterhalten können (wenn sie ihn nur gelassen hätten), war er weder ein Voyeur im eigentlichen Sinn des Wortes noch ein Nekromant. Letzterem kam er allerdings nahe – sehr nahe, vielleicht zu nah, obgleich ihm dies nicht bewusst war. Aber die Toten wussten es, und sie gingen kein Risiko ein. Einst hatten sie seinem Vater vertraut, und letzten Endes hatte selbst er sich in gewisser Hinsicht als zweischneidiges Schwert erwiesen.
    Also blieb Nathan still liegen und lauschte, nicht aus bösem Vorsatz, allerdings auch nicht ganz ohne Absicht, sondern
aus echter Neugier. Wenig später begann er die Gedanken der zahllosen Toten in ihren Gräbern zu hören, zuerst nur als bloßes Flüstern oder auch nur als Widerhall eines Flüsterns – dann vernahm er ein vielstimmiges Geflüster, das sich wie denkendes, unsichtbares Wurzelwerk durch die Erde ausbreitete und die Große Mehrheit im ansonsten ewigen Schweigen ihrer einsamen Ruhestätten miteinander verband.
    Dies kam Nathan keineswegs seltsam vor – seit er denken konnte, hatte er zwischen Traum und Wachen den Toten gelauscht –, doch diesmal war es etwas anderes. Ihre geflüsterten Unterhaltungen waren so leise wie nie zuvor, sie klangen ängstlich, fragend, wenn nicht ... von Grauen erfüllt?
    Denn dieses Mal waren Neuankömmlinge unter ihnen – zu viele, und es wurden immer mehr. Sie berichteten von einem uralten Schrecken, der wiederauferstanden war. Nathan bekam nicht alles mit. Doch schien es ihm, als höre er unter dem Raunen und all den störenden Nebengeräuschen das Rascheln Tausender vertrockneter Hände, die verzweifelt gerungen wurden. Und in dem Augenblick, bevor sie seine Gegenwart spürten, wurde ihm bewusst, dass ihre Furcht keinesfalls unbestimmt war, sondern sich im Gegenteil auf etwas sehr Greifbares bezog.
    So viel erfuhr er und nicht mehr. Denn sobald sie seine Anwesenheit bemerkten ...
    ... wichen ihre Gedanken zurück und die Toten verstummten. Nur noch der Nachhall eines erschrockenen Schweigens verklang im ansonsten leeren Gedankenäther. Es geschah so plötzlich, dass Nathan keine Zeit hatte, herauszufinden, worum es eigentlich ging. Aber zumindest glaubte er zu wissen, warum sie ihn so rasch bemerkt hatten. Sie waren so wachsam gewesen wie nie zuvor, beinahe als hätten sie ... damit gerechnet, belauscht zu werden.

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