DÄMONENHASS
vorangekommen.
Nun hatte er sich auf einer sonnenbeschienenen Lichtung am Ufer zu einem Nickerchen in das hohe, süß duftende Gras gelegt und war gerade am Eindösen, als er erschrocken das vertraute Klapklapklap gespaltener Hufe, dann das Knirschen und Knarren von Wagen und das Geklimper von Zaumzeug und Szgany-Glöckchen vernahm. Irgendwo hinter dem hohen Flussufer musste ein alter Pfad der Wanderer verlaufen, denn die Geräusche stammten von einer vorbeiziehenden Zigeunergruppe.
Darin irrte Nathan sich. Wie er feststellte, nachdem er den Fluss hinter sich gelassen hatte, sich durch das Blattwerk eines Gebüsches kämpfte und den alten Pfad betrat, zogen sie nicht vorbei, sondern schlugen gerade ihr Lager auf. Und als er auf dem alten, ausgefahrenen Pfad auftauchte, erblickten sie ihn ebenfalls.
Braune, seelenvolle Augen begegneten dem Blick seiner blauen Augen über den Pfad hinweg, und Nathan erstarrte, als das Mädchen wieder ins Dickicht zurückglitt und verschwand. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass seltsame Zeiten herrschten und die Menschen keinesfalls erwarteten, dass aus dem Wald vor ihnen ein wilder Mann auf die Straße sprang! Andererseits waren sie viele, und Nathan war allein. Außerdem stand die Sonne hoch, und so war die Chance, dass sich Vampire in den Wäldern herumtrieben, nur gering.
Ganz sicher war ihnen klar, dass die alte Gefahr von der Sternseite zu neuem Leben erwacht war; das zeigte sich gleich bei ihrer ersten Begrüßung. »Reißt die Berge nieder«, sagte eine sanfte Szgany-Stimme von der Seite, und Nathan zuckte zusammen und fuhr herum.
Er sah einen hochgewachsenen, hageren, unglaublich verwitterten Mann von unbestimmtem Alter, der lässig mit der
Schulter an einem Baum lehnte. Nathan erkannte auf den ersten Blick, dass diese Leute echte Wanderer waren, Szgany im ursprünglichen Sinne des Wortes. Sie hatten nie an festen Orten gelebt. Die Behaglichkeit des Dorflebens hatte sie nie länger als eine Nacht von ihrem Weg abgebracht. Ihr ganzes Leben lang waren sie umhergezogen und waren ebenso ein Teil der Wildnis wie die Tiere des Waldes.
Das konnte bedeuten, dass sie von der Rückkehr der Wamphyri vielleicht doch noch nichts wussten. Denn unter den echten Wanderern waren die alten Sitten noch erhalten, und die Grußformeln – die sowohl Verwünschung als auch Segensspruch sein konnten, was ganz vom jeweiligen Fall abhing – waren immer noch sehr lebendig. »Reißt die Berge nieder«, hatte der Mann gesagt, und Nathan kannte die Antwort darauf. Er hatte sie ab und zu vernommen, wenn Wanderer in Siedeldorf hielten, um ihre Felle einzutauschen, Messer und Äxte zu schärfen und aus der Hand zu lesen. Er hatte sie gehört, aber noch nie selbst gebraucht. Denn damals hatte er mit niemandem sprechen wollen und auch nicht müssen. Nun standen die Dinge jedoch anders, und so sagte er:
»Oh ja, reißt die Berge nieder. Lasst die Sonne mit aller Kraft auf den letzten Horst scheinen und ihn zerschmelzen!«
Der Mann erkannte Nathans Kenntnis des alten Fluches an und nickte, doch zugleich runzelte er die Stirn und sagte: »Und dennoch ... bist du kein Wanderer. Vielleicht hat uns dein Dorf früher willkommen geheißen. Wir machen euch Dorfmenschen keinen Vorwurf daraus, dass ihr euch zur Sesshaftigkeit entschlossen habt. Wir besuchen euch ab und zu, und manchmal tut es uns gut, mit anderen zu reden. Wir halten es nur für Narretei, sich wie Schimmel an einem Baum auf einen Ort zu beschränken. Denn wenn der Baum stürzt, fällt der Schimmel mit ihm ...«
Er zog die rechte Hand, die er bis jetzt verborgen gehalten hatte, hinter dem Baumstamm hervor und ließ die Sicherung seiner geladenen Armbrust einrasten. Dann nickte er abermals und sagte: »Ja, eine Narretei – besonders jetzt, da die Wamphyri zurückgekehrt sind! Nun ja, wir haben immer schon gesagt, dass sie wiederkommen. Kannst du mir einen besseren Grund nennen, all diese Jahre auf dem Wanderpfad zu verbringen?«
Nathan schüttelte den Kopf. »Eben deshalb bin auch ich unterwegs«, antwortete er. »Aber ich laufe nicht vor ihnen davon, sondern ich suche nach ... nach meinem Bruder, der ihnen zum Opfer gefallen ist. Ich habe ihn letzte Nacht in Zwiefurt ... verloren. Man hat dort einen Mann in den Fluss stürzen sehen. Ich dachte, dass er das vielleicht sei und dass ich ihn finden könne, wenn ich dem Fluss folge.«
»Und hast du ihn gefunden?«
»Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. Dann trat er vor und streckte die
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