DÄMONENHASS
Jahre alt und sah aus wie siebzig, während sie über hundert Jahre zählte, aber wie eine Zwanzigjährige aussah – jedenfalls im Augenblick. Er wusste, dass ihr Vampir ihr wandelbares Fleisch in die ihr genehme Gestalt formte und sie so frisch und prall wie das Leben selbst machte. Doch wenn man sie in Zorn versetzte, reagierte das Wesen in ihr sogleich darauf und bewirkte eine Verwandlung, die selbst die mächtigsten Lords unter allen Umständen zu vermeiden trachteten! Denn Wratha war kein einfaches Szgany-Mädchen, und es setzte den Historiker in Erstaunen, dass sie das je gewesen war – falls sie es je gewesen war. Er dachte daran, was Maglore der Seher ihm über sie erzählt hatte: Wratha war eine Sonnseiterin gewesen, die mit ihrem Vater in einer kleinen Stammesgemeinschaft lebte. Der Sohn des Anführers hatte sie haben wollen, aber ihr Vater, der selbst ein starker Mann war, sagte, dass sie ihren Gatten selbst aussuchen dürfe. Da sie sowohl schön als auch eigensinnig war, traf sie keine Wahl, sondern verschmähte alle jungen Männer des Stammes gleichermaßen. Als ihr Vater starb, machte der Anführer ihr klar, dass ihre Wahlmöglichkeiten sich sehr eingeschränkt hatten. Entweder konnte sie die Frau seines Sohnes werden oder aber sie wurde für den Tribut aufgestellt. So einfach war das.
Offenbar war es doch nicht so einfach, denn sie riss aus! Wutentbrannt und trotz der flehentlichen Bitten seines Sohnes setzte der Stammesführer sie auf die Tributliste. Wenn sie nicht zu seinem Sohn gehen wollte, dann sollte sie eben zu den Vampiren gehen.
Eine Zeit lang fristete sie ein wildes Dasein im Hügelland und schaffte es, der ersten Tributzahlung zu entgehen. Wie schon ihr Vater war auch sie ganz und gar gegen die Knechtschaft unter den Vampiren eingestellt und glaubte fest daran, dass man sie bekämpfen, vernichten, ja ihnen zur Sternseite des Gebirges folgen und sie in ihren Felsstätten erschlagen musste. Wahnsinn! Denn bei Sonnauf wurden die Krieger freigelassen, damit sie die Schluchten und Klüfte von Turgosheim durchstreiften und die Wamphyri vor Angriffen während ihrer verwundbarsten Zeit schützten. Und wie sollte man außerdem Menschen töten, die bereits tot waren?
Nun, es gab Mittel und Wege, aber bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie erprobt worden waren – als Offiziere und rangniedrige Lords bei Sonnunter über das Gebirge gekommen waren, um den Tribut einzufordern, dabei in Hinterhalte gerieten und niedergemacht wurden –, war die Vergeltung der Wamphyri stets rasch und gnadenlos über sie hereingebrochen. Von dem letzten ›Aufstand‹, der vor etwa vierzig Jahren stattgefunden hatte, sprach man noch heute an den Lagerfeuern, aber die aufständischen Helden gab es nicht mehr, ebenso wenig ihren Stamm, der bis auf den letzten Mann ausgemerzt worden war.
Die Geschichte selbst lieferte also bereits das stärkste Gegenargument.
Jedenfalls wurde Wratha gefangen genommen, eingesperrt und mit der Tortur bedroht – jedoch weder geschunden, noch anderweitig verletzt, denn einen solchen Tribut gab man nicht an die Wamphyri –, und schließlich wurde sie zur Abgabezeit den Eintreibern übergeben, die ihre Tributrunden durch die Stammesterritorien zogen. Aber während ihrer Gefangenschaft hatte sie es irgendwie geschafft, eine kleine Menge Kneblaschöl und ein Päckchen mit Silberspänen an sich zu bringen und verborgen zu halten ...
Damals pflegten die Eintreiber die meisten Tributanten zu Fuß gen Turgosheim zu treiben – eine Sitte, die sich bis zum heutigen Tag gehalten hatte. Besondere Fälle, wie schöne junge Frauen, gut gebaute Jünglinge, begabte Musiker und geschickte Metallarbeiter wurden auf Fliegern dorthin verfrachtet. Auf diese Weise blieben ihnen die mit einer Fußreise verbundenen kleineren Strapazen erspart, und sie wurden in einwandfreiem Zustand vorgeführt. Wratha wurde locker an den Händen gefesselt und auf den langen Sattel eines Fliegeroffiziers geschnallt. Im letzten Augenblick trat der Sohn des Anführers an sie heran, grinste höhnisch und warf ihr einen kleinen Beutel mit ihren Habseligkeiten zu.
Während des Fluges nach Turgosheim entledigte sie sich ihrer Handfesseln und begann, ihrem Häscher den Rücken zu massieren und ihm sinnliche Vorschläge ins Ohr zu raunen. Zwar war er für Höheres vorgesehen, aber noch kein Wamphyri. Er stammte von der Sonnseite, empfand den Verführungsversuch der jungen Szgany als angenehm und erhob keine Einwände, als
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