DÄMONENHASS
sie vor. Diese Kammer war eine Nische am Ende einer langen, dunklen Höhle, die er mit vielen Tonnen Felsgestein vermauerte; mit seiner wütenden Kraft brachte er sogar den Eingang zum Einsturz. So wurde das Urteil schließlich doch vollstreckt, und Radu war zufrieden.
Als Karl später nach Zackenspitze zurückkehrte und Wrathas Zimmer leer vorfand, wütete er eine Zeit lang. Radu konnte nur die Achseln zucken und ahnungslos dreinschauen. Ein Flieger fehlte: Offenbar war Wratha erwacht, hatte das Tier gestohlen und war davongeflogen. Vielleicht konnten sie sie aufspüren? Radu, Karl und zwei rangniedrige Offiziere versuchten es – erfolglos. Als Sonnauf nahte, kehrten sie zur Zackenspitze zurück. Möglicherweise hatte Wratha versucht, sich zur Sonnseite durchzuschlagen. Nun ja, schade drum. Mittlerweile schmolz die Sonne sie wahrscheinlich gerade zusammen.
In Wirklichkeit jedoch ließ sie nur das arme Flugtier schmelzen, dem Radu befohlen hatte, so weit nach Süden zu fliegen, wie es nur konnte. Und so kehrte wieder Ruhe in Zackenspitze ein, während in einer zugemauerten Nische in einer verschütteten Höhle in einer abgelegenen Schlucht der Tod dem Untod wich.
Wratha erwachte!
Mit einem leisen Aufschrei erwachte sie in einer Finsternis, die der einer Gruft glich ... und doch konnte sie sehen, als herrsche hier Tageslicht! In der Tat erkannte sie ihre Umgebung als eine Gruft – nämlich die ihre! Sie begriff, was geschehen war, und erriet in etwa, wie es geschehen war und wer die Hauptverantwortung dafür trug. Eine Zeit lang weinte sie, raufte sich die Haare und schlug sich an die Brust, denn sie glaubte schon zu spüren, wie sie sich allmählich in einen Stein verwandelte, um ganz der Erde anzugehören.
Rasch folgte der Wahnsinn. Sie kreischte und zerrte an dem Felswall, der sich Unheil verkündend regte und einzubrechen drohte, wodurch sie zerquetscht werden musste. Schluchzend sank sie zu Boden, umklammerte ihre Schultern und fragte sich, wie lange die Luft wohl reichte; gewiss schlossen die herabgefallenen Steine sie hier luftdicht ein wie Wein in einem Krug.
Aber ... was scherte es sie? Zwar war die Luft abgestanden, aber sie würde weiterleben, denn sie war eine Vampirin und konnte kein zweites Mal sterben – nur den Vampirtod: durch Pflock, Schwert und Feuer. Was wiederum bedeutete, dass sie in einem Jahrhundert – oder zwei oder drei – tatsächlich zu einem einsamen Fossil unter der Erde versteinern mochte. Aber lange vorher, in wenigen Tagen oder Wochen, wäre sie so geschwächt, dass jede Bewegung unmöglich würde und sie hier liegen müsste, um ihr elendes Leben an sich vorüberziehen zu lassen und sich im Hass auf jene erbärmlichen Kreaturen zu verzehren, die ihr dieses unaussprechliche Ende bereitet hatten.
Wieder überfiel sie der Irrsinn! Sie schrie auf und kreischte immer weiter! Bis es ihr so vorkam, als komme aus der Felswand ... ein schwaches Echo?
Ein Echo? In einer luftlosen Gruft?
Wratha sprang auf und suchte die Höhle von oben bis unten ab, von einem Ende zum anderen, in allen Ecken und Winkeln, die sie nur durchsuchen konnte. Schließlich entdeckte sie ein Loch, das nicht breiter war als ihre Schultern und nicht höher als der Abstand zwischen ihrer Kinnspitze und ihrem Scheitel, durch das ein Hauch aus namenlosen Bereichen sie anwehte. Ein Hauch frischer Luft!
Sie zwängte sich mit dem Kopf voran in das Loch, und es folgte ein Albtraum des Erstickens, des sich Windens, des zollweisen Vorrückens, bis die Erschöpfung ihr Einhalt gebot. Dann das Ausruhen, so gut es eben ging und in welch absonderlich gekrümmter Haltung sie sich auch gerade befand, bevor sie sich wieder aufmachte. Sie wusste nicht, wann der Gang sein Ende fand, aber ihr war klar: Wenn er zu Ende war, gab es keinen Weg zurück, kein Rückwärtskriechen. Und so wand sie sich wie eine Schlange durch den engen Felsen, während über ihr der abertonnenschwere Berg drohte.
Schließlich erreichte sie eine Höhle, von der weitere kleinere Ausgänge abzweigten. Auf Händen und Knien erforschte Wratha mit blutigen Fingernägeln jede Vertiefung, jeden Spalt. Am Boden fand sie nichts; sämtliche der schmalen Ausgänge waren Sackgassen. Aber in ihrem finsteren Gefängnis, ihrer Felsengruft, waren ihre Vampirsinne aufs Höchste geschärft.
Sie war keine Wamphyri, denn in ihrem Körper befanden sich weder Ei noch Sporen, aber sie war eine Vampirin: die Vampirsklavin des Karl von Zackenspitze. Seine Sklavin – hah!
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