Dämonenherz
ein, über den Jean-Baptiste wie gewohnt ohne Licht rumpelte. Anna hielt sich fest, so gut es nur ging. Dann machte Jean-Baptiste eine Vollbremsung. Zwei grünschillernde Augen tauchten vor dem Wagen auf.
»Was ist das?«, fragte Anna. Ihre Stimme hörte sich gar nicht mehr zuversichtlich an.
»Füchse«, antwortete Jean-Baptiste.
Die Augen verschwanden, ein Schatten glitt ins Unterholz.
Erleichtert atmete Anna auf. Die Zuversicht kehrte zurück. Ich werde siegen, weil ich die Antwort weiß, dachte sie. Er will für mich sterben. Aber das werde ich nicht zulassen.
»Aua!«
Jean-Baptiste hatte ein Schlagloch erwischt. Sie klammerte sich immer noch am Haltegriff fest und dachte, dass das Einzige, das sie in dieser Nacht in Todesgefahr bringen würde, Jean-Baptistes Fahrkünste waren.
Irgendwann endete auch der Feldweg. Jean-Baptiste ließ den Wagen ausrollen, zog die Handbremse an und stellte den Motor ab.
»Und nun?«
»Der Herr hat gesagt, ich soll hier auf ihn warten.«
»Wo ist er?«
Doch Jean-Baptiste schaltete auf stur und sah in die andere Richtung aus dem Fenster.
»Okay.«
Anna stieg aus. Ihre Augen mussten sich erst an die tiefe Dunkelheit gewöhnten. Ein samtschwarzer Nachthimmel wölbte sichüber einer baumbestandenen Landschaft. Es roch nach feuchter Erde und trockenen Kräutern. Der Weg ging bergauf, und bevor Anna ihn betrat, wandte sie sich noch einmal an den Chauffeur.
»Ich gehe da jetzt hoch. Sollte ich nicht mehr wiederkommen, wäre es schön, wenn Sie nach uns suchen lassen würden.«
Jean-Baptiste kniff die Lippen zusammen und ignorierte sie. Anna lagen einige Worte auf der Zunge, die sie ihm gerne an den Kopf geworfen hätte. Aber gegen die Loyalität eines Ghuls kam sie nicht an. Sie warf die Autotür zu und begann mit dem Aufstieg. Er schien sich Stunden hinzuziehen. Schon nach kurzer Zeit war sie außer Atem. Sie blieb stehen, und ihr eigenes Keuchen dröhnte in ihren Ohren.
Jetzt bloß nicht schlappmachen, dachte sie. Wenn ich hier mit heiler Haut herauskomme, wird das Fitnessstudio mein zweites Zuhause. Sie lief weiter. Der Mond schien hell, aber nicht hell genug, um mehr als die ineinanderfließenden Schatten der Bäume zu erkennen. Nun schoben sich auch noch Wolken vor ihn, und für einen Augenblick senkte sich tiefe Dunkelheit über die Landschaft.
»Psst!«
Das Zischen erschreckte Anna so sehr, dass sie herumfuhr und mit klopfendem Herzen in die Büsche starrte. Doch da war niemand. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht. Das Mondlicht kam wieder kurz zum Vorschein. Sie erkannte den Weg und lief weiter.
Wie ein gewaltiges schwarzes Tier erhob sich der Bergrücken des Ätna in den Nachthimmel. Der Wind frischte auf. Anna verwünschte sich, dass sie ihre Tasche im Auto gelassen hatte. Ihre Jacke hätte sie jetzt sehr gut gebrauchen können, denn auch in Sizilien wurden die Nächte Ende Oktober empfindlich kalt. Sie trug ihre alte Reisekluft, Jeans und Sweatshirt, die tagsüber genau das Richtige gewesen war. Nun aber kroch auch noch eine unangenehme Feuchtigkeit durch das Unterholz und verbündete sich mit dem kalten Wind. Anna versuchte, an Weller zu denken, undan die Hitze, die sie durch seinen Kuss erlebt hatte. Wie durch ein Wunder schien sie dieser Gedanke tatsächlich zu wärmen. Sie ging schneller und schaffte die nächste Steigung besser als zuvor.
Äste knackten unter ihren Füßen. Sie warf einen Blick zum Himmel und erschrak. Über dem Krater des Vulkans ballten sich die Wolken. Der Mond war völlig verschwunden, aber etwas anderes erhellte die Dunkelheit. Es war ein schwaches, grünes Leuchten, das tief aus der Erde kommen musste.
Sie ärgerte sich über Jean-Baptiste. Rücksichtslosigkeit musste in der Familie liegen. Wie konnte er sie nur hier in der Wildnis alleine lassen? Mittlerweile war Anna überzeugt, dass sich hier mehr als nur Füchse herumtrieben. Sie legte ihre Hand auf die Brust, genau an die Stelle, an der der Stein ruhte. Sofort wurde sie ruhiger. Ihr konnte gar nichts passieren. Sie war geschützt! Durch diesen Stein, vor allem aber durch die Liebe.
Weller liebte sie. So sehr, dass er sie von ihren Pflichten entbunden hatte und selbst in den Vulkan gehen wollte. Was das bedeutete, konnte Anna nur ahnen. Der Tod, vielleicht, das waren seine Worte. Eine Schuld musste beglichen werden. Eine Seele musste sich opfern.
Aber meine wird es nicht sein, dachte Anna. Und deine, Weller, auch nicht. Einen Moment erwog sie, Jean-Baptiste den dunklen
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