Dämonenherz
zu.
»Wo ist Weller? Was hat er vor?«
»Ich weiß es nicht.«
»Blödsinn.«
Anna stieg aus und ging an sein Fenster. Geräuschlos glitt es herunter.
»Sie wissen genau, wo er ist. Sie sind doch sein Ghul, nicht wahr?«
Jean-Baptiste schwieg. Da konnte natürlich alles bedeuten. Anna nahm es einfach für ein schlichtes »Ja«.
»Müssen Sie nicht über jeden seiner Schritte Bescheid wissen? Vielleicht braucht er Sie ja gerade?«
»Das wüsste ich.«
»Woher denn?«
Jean-Baptiste sah zu ihr hoch. »Wir haben dasselbe Blut.«
»Dämonenblut.«
Erzuckte mit den Schultern. »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ihnen wird für immer fremd bleiben, was uns verbindet.«
Anna schulterte ihre Tasche. Egal, ob Jean-Baptiste ihr das Leben gerettet hatte oder nicht, er war und blieb ein unaussteh licher Miesepeter. »Vielleicht weiß ich das schon längst. Haben Sie auch so einen netten Vertrag unterschrieben? Dann hat man Sie aber ganz schön übers Ohr gehauen. Statt unermesslichem Reichtum haben Sie einen Job als Mädchen für alles gekriegt. Und ausgerechnet für Carl Weller. Nicht gerade das, wofür ich meine Seele eintauschen würde.«
Jean-Baptiste presste die Lippen zusammen und starrte an ihr vorbei auf den Kai. Es wurde Zeit. Das Schiff war zum Auslaufen bereit.
»Reichtum ist nicht alles«, sagte er schließlich. »Es gibt andere Gründe, warum man zu jemandem hält.«
»Zum Beispiel?«
»Wenn man diesem Mann sein Leben verdankt.«
Anna ließ die Tasche von der Schulter rutschen. Sie fiel auf den Boden, aber Anna achtete nicht darauf. Es war, als ob genau in diesem Moment ein Schleier von ihren Augen glitt und die Sicht freigab auf all die Dinge, die sie bisher nicht gesehen hatte.
»Sie sind sein Bruder!«
»Ja.«
»Er hat Ihr Leben gerettet, indem er seines verpfändet hat!«
»Ja.«
»Und Sie? Warum haben Sie sein Geschenk denn nicht angenommen? Was hat Sie dazu getrieben, unsterblich zu werden?«
»Ich habe es so gewollt. Ich wollte ihn nicht allein lassen. Er ist mein Bruder und mein Herr. Glauben Sie mir, ich könnte mir für beides keinen Besseren wünschen. Leben Sie wohl.«
Die Scheibe fuhr hoch.
»Halt! Warten Sie!«
Aber Jean-Baptiste achtete nicht auf sie. Er setzte zurück und wollte den Wagen wenden. Anna stellte sich ihm direkt in den Weg. Mit quietschenden Bremsen kam der schwere Wagen vor ihrzum Stehen. Anna lief zur Beifahrertür, riss sie auf und warf sich hinein. Jean-Baptiste biss die Zähne zusammen, sagte aber nichts.
»Wir fahren zu ihm. Sofort!«
Der Chauffeur trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf das Lenkrad. Offenbar wartete er darauf, dass sie wieder ausstieg. Das Schiff hinter ihnen stieß ein Tuten aus, das die Scheiben zittern ließ. Als er verklungen war, schnallte Anna sich an.
»Na los. Worauf warten Sie noch?«
Jean-Baptiste rang mit sich. Aber Anna hatte ihn noch nicht überzeugt.
»Falls es Sie interessiert«, setzte sie ihren Überredungsversuch fort, »er hat gesagt, dass er mich liebt.«
»Das ist sehr erfreulich für Sie, Mademoiselle.«
»Und dann schickt er mich fort?«
»So macht er das manchmal mit den Damen.«
Anna schüttelte den Kopf. »Aber nicht mit mir. Er hat mich weggeschickt, damit ich nicht mitbekomme, was mit ihm geschieht.«
»Gefühlsdinge sind nicht meine Sache.«
Begriff dieser Vollidiot denn nicht? Sie standen mitten im Hafen von Palermo, und die Zeit lief ihnen davon. Wann genau wechselte denn ein Sternbild? Um Mitternacht? Anna wusste es nicht. Sie hatte sich nie sehr für Horoskope interessiert. Aber sie wusste, dass Weller unterwegs war zu einem Ort, von dem er nicht mehr zurückkehren würde.
»Dann sollten Sie langsam mal anfangen, sich damit vertraut zu machen. Was ist eigentlich mit Ihnen, wenn er geht?«
»Ich folge ihm.«
»Aha.« Anna lehnte sich zurück. »Dann lassen Sie sich mal nicht aufhalten.«
Jean-Baptiste zögerte. Schließlich rammte er einen Gang ins Getriebe und fuhr los. Eine unendliche Erleichterung durchflutete Anna. Endlich hatte er es begriffen und würde sie zu Weller bringen!Keine zehn Minuten später hatten sie Palermo über eine der Ausfallstraßen verlassen und fuhren Richtung Catania. Erst als Hinweisschilder auftauchten, die zum Ätna führten, schwand Annas Zuversicht. Es war leicht zu sagen, dass man bereit war, für jemanden zu sterben. Es auch zu tun, war eine andere Sache. Ich bin eine Amazone, betete sie sich vor. Amazonen gehen nicht unter.
Sie bogen auf einen Feldweg
Weitere Kostenlose Bücher