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Dämonenherz

Dämonenherz

Titel: Dämonenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Talbot
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zurückgleiten konnten zu dieser Nacht in der Casino-Suite, rief sie sich energisch zur Ordnung und betrachtete das elfenbeinfarbene Bütten und die zierlichen Buchstaben genauer. Doch sosehr sie sich anstrengte, sie konnte die Schrift nicht entziffern. Sie erkannte zwar die steilen, von Hand geschriebenen Zeichen, ob sie aber Sanskrit oder Mittelhochdeutsch waren, war für Anna nicht auszumachen.
    Vermutlich sollte sie dieses Dokument jemandem in Dscharyan al-Batna übergeben. Qatar. Lag das nicht im Nahen Osten? Ein Königreich, so erinnerte sich Anna, eines dieser Öl-Imperien, das aber relativ friedlich und von der Weltöffentlichkeit unbeachtet seinen Reichtum mehrte. Öl. Vicky hatte so etwas im Zusammenhang mit Weller erwähnt. Öl und Medien, Reichtum und Macht. Die zwei Achsen, die ein Weller wohl brauchte, um mit sich im Gleichgewicht zu sein. Und sie war ein Teil des Spiels.
    Sie hatte es geschafft.
    Sie würde nach Qatar fliegen. Das war eine Menge große, weite Welt für jemanden, der eigentlich vorgehabt hatte, ein ruhiges Single-Wochenende zu verbringen. Museum. Spaziergang. Lesen. Vielleicht ein wenig die Wohnung aufräumen und Wäsche waschen. Der turmhohe Stapel Blusen musste auch endlich einmal gebügelt werden. Das waren ihre Pläne gewesen. Und nun …
    Die Schrift auf dem Pergament verschwamm vor ihren Augen. Sie sah sich in der königlichen Loge sitzen. Sie feuerte die hechelnden Kamele an und hörte die heiseren Rufe der Treiber. Es warheiß, der Sand glühte. Weller saß neben ihr. Der König von Qatar nickte ihr zu. Er hob die Ledermappe und winkte damit in die jubelnde Menge. Alle sahen sie an und bewunderten oder beneideten sie. Die Frau an Wellers Seite … Einfluss, Macht, Schönheit, Reichtum …
    Jemand betrat die Kabine nebenan und scheuchte Anna aus ihrem Tagtraum. Hastig und mit klopfendem Herzen packte sie alles wieder zusammen. Sie fühlte sich ertappt. Was war bloß in sie gefahren? Eben noch hatte sie Weller des Mordes verdächtigt, und im nächsten Moment malte sie sich schon aus, wie sie mit ihm durch die Welt reisen würde. Das war doch nicht normal.
    Draußen ließ sie kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen, um sich abzukühlen. Der Koffer stand zu ihren Füßen und sah völlig unscheinbar aus. Niemand würde darauf kommen, dass er Annas geheimste Sehnsüchte in sich verbarg. Sie nahm ihn und betrat die riesige Abflughalle.
    Anna hatte den Flughafen Frankfurt immer gemocht. Schon als junges Mädchen, zu einer Zeit, in der es sonntags noch nicht einmal frische Brötchen gab, war der Flughafen der einzige Ort weit und breit gewesen, an dem die Zeit nicht stillstand. Oft war sie am Wochenende hinausgefahren und hatte es sich mit einem Buch auf der Bank bequem gemacht; über sich die riesige schwarze Tafel mit den Ankunfts- und Abflugzeiten, die alle zwei Minuten aktualisiert wurde und im vordigitalen Zeitalter noch mit rotierenden Plättchen funktionierte. Bei jedem Umspringen rasselten und klackerten sie wie ein Schwarm aufgescheuchte Krähen. Anna las die Namen fremder Städte: Tokio, New York, Kairo, Madrid, und damals hatte sie sich geschworen, dass sie eines Tages reisen wollte. Nach Hawaii, nach Bombay, nach Bangkok. Manchmal wurde sie nach dem Weg gefragt. Dann gab sie bereitwillig Auskunft und fühlte einen völlig aberwitzigen Stolz, dass man sie für eine Reisende hielt.
    Und jetzt also tatsächlich Qatar.
    Einenette Bodenstewardess wies ihr den Weg zur Diamond Lounge, einem Wartebereich für Vielflieger und solche, die sich eine Atlantiküberquerung in der ersten Klasse leisten konnten. Der Weg war äußerst diskret ausgeschildert und endete im zweiten Stock vor einer Milchglasscheibe, die sich wie von Geisterhand öffnete, als Anna sich ihr näherte.
    Der junge Mann hinter der Rezeption schaute professionell lächelnd hoch, als Anna vor ihm stehen blieb und sich zögernd umsah. Ihr war mit einem Mal bewusst, dass sie in den Augen dieses Mannes nicht aussah wie die typische Passagierin der ers ten Klasse. Doch er hatte in seinem Leben wohl schon Schlimmeres gesehen als eine Frau im Holzfällerhemd. Freundlich prüfte er ihr Ticket und wies dann mit einer Handbewegung auf die Bar, die die gesamte Fensterfront des Raumes einnahm und einen spektakulären Blick auf das Rollfeld und die startenden und landenden Maschinen bot. Dezente Musik rieselte aus Lautsprechern, einige Reisende hatten es sich in den cremefarbenen Sesseln bequem gemacht.
    »Sollen wir Ihr Gepäck

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