Dämonenherz
sich die Ärmel hoch, bückte sich und machte sich an der Leiter zu schaffen. Anna versuchte zu erkennen, was er da unten tat, doch die Sicht war von einigen Zweigen versperrt. Im nächsten Moment fuhr sie erschrocken zurück. Weller hatte die Leiter in der Hand und legte sie an den Baum. Entweder hatte er wieder einen seiner Zaubersprüche benutzt, oder der Mann war einfach handwerklich geschickt. Zu ihrem Schrecken kletterte er zu ihr hinauf.
»Darf ich eintreten?«
»Lieber nicht.«
Sie versuchte, auf dem Brett ein wenig zurückzurobben, denn er kam ihr einfach zu nahe. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Allein der Gedanke daran machte sie nervös und verriet ihr, wie wenig sie ihren Impulsen trauen konnte.
»Esist zu wackelig hier oben.«
»Das haben wir gleich.«
Er griff nach dem gleichen Ast, den auch Anna benutzt hatte, um auf das Baumhaus zu gelangen. Doch im Gegensatz zu ihr schwang er sich nicht wie ein nasser Sack hinüber, sondern machte einen eleganten Klimmzug und landete mit beiden Füßen auf den Brettern. Der Wipfel des Baumes wanke leicht.
»Nicht!« Annas Stimme überschlug sich fast. Krampfhaft klammerte sie sich fest. »Das hält keine zwei Leute aus. Sie müssen runter!«
»Du. Wir waren schon beim Du, falls du das nicht vergessen hast. Und im Gegensatz zu dir benehme ich mich nicht anschließend so, als ob nichts geschehen wäre.«
»Ich mag keine Beziehungsdiskussionen, wenn ich gleich abstürze.«
»Du stürzt nicht ab. Jetzt bin ich ja hier.«
»Sie eingebildeter Hobbybastler!« Hilflos sah sie hinunter in die Tiefe. »Sie werden uns beide umbringen!«
»Nein. Nicht heute.«
Weller klopfte sich etwas Staub von der Hose und sah sich um. Dann gab er den Brettern mit den Füßen einige feste Tritte. Das aufgeworfene, durch die Jahre rissig gewordene Holz schien wieder einzurasten. Weller ging in die Knie und setzte sich neben sie.
»Schön hier. Das war also dein Schloss. Der geheime Ort, den jedes Kind irgendwo hat.«
Er zog die Knie an und legte seine Arme darum. Er wirkte nicht, als ob er sie angreifen wollte, und Anna begann langsam, sich etwas zu entspannen.
»Vom wem hast du geträumt? Wie sollte dein Leben sein? Wonach hast du dich gesehnt?«
Er sah an ihr vorbei hinauf in die Blätter. Dann griff er hinein und pflückte eine Handvoll Kirschen, die offenbar die ganze Zeit direkt vor Annas Nase gehangen haben mussten. Aufmunternd hielt er sie ihr entgegen.
Verwundertund trotzig schüttelte Anna den Kopf. Kirschen im September. Wahrscheinlich wieder so ein Taschenspielertrick. Sie wollte sich nicht mehr von ihm aufs Glatteis führen lassen. Und deshalb dachte sie auch nicht im Traum daran, ihm diese Fragen zu beantworten. Wenn er sich über sie lustig machen wollte, bitte sehr. Vorsichtig gab sie ihre Bauchlage auf und setzte sich. Mit tastenden Bewegungen prüfte sie den Boden. Er schien tatsächlich stabiler geworden zu sein. Also könnte sie ohne fremde Hilfe vom Baum herunterkommen, wenn sie die Leiter erreichte. Sie legte erst das eine, dann das andere Bein über die Kante.
Weller nahm eine der Kirschen und verspeiste sie genüsslich. »Ich hatte nie ein Baumhaus. Wir hatten keine Zeit zum Spielen.«
Den Kern spuckte er in die Tiefe.
»Tatsächlich?« Anna versuchte, mit einem Fuß an die oberste Sprosse der Leiter zu kommen, aber sie war zu weit weg. »Sie wirken auf mich, als wären Sie auf einem Monopolybrett geboren. In der Schlossallee.«
Er bewegte sich, und einen Moment befürchtete Anna, er würde ihr zu nahe kommen. Doch Weller streckte nur die Beine aus und musterte Anna mit einem rätselhaften Blick. Sie spürte, wie die Verunsicherung wieder in ihr hochkroch, und suchte verzweifelt nach einem unverfänglichen Gesprächsthema.
»Wo sind Sie denn geboren?«
Sie wusste, dass er ihr Siezen ignorieren würde. Aber es schuf Distanz. Sie rutschte noch ein kleines Stückchen vor und streckte erneut so unauffällig wie möglich das Bein aus. Nur ein paar Zentimeter trennten sie noch von der Leiter.
»In einem Flößerhaus am Rhein, in einem eiskalten Winter.«
»Wie romantisch.«
»Nun, meine Mutter hätte dafür wohl einen anderen Begriff benutzt. Aber mit den verklärenden Augen moderner Menschen betrachtet, könnte man durchaus romantische Motive finden. Die Eisschollen beispielsweise. In diesen Wintern schoben sie sichwie gezackte Gebirge an den Ufern des Flusses auf und drohten die Schiffe, die in dem kleinen Hafen Schutz
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