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Dämonenherz

Dämonenherz

Titel: Dämonenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Talbot
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gesucht hatten, mit ihrer Kraft zu zermalmen. Vor allem nachts fuhren wir aus dem Schlaf hoch, weil schauerliche Geräusche zu uns drangen. Sie klangen, als ob die Schiffe Seelen hätten.«
    Er aß die Kirschen, als ob er ihr damit eine geheime Botschaft senden wollte. Die Kerne spuckte er nun etwas gesitteter in die Hand. Als keine mehr übrig war, warf er diese weg und fuhr fort.
    »Mit Eis habe ich mein erstes Geld verdient. Wir haben es in Blöcke geschlagen und in Felskellern gelagert. Es war harte, schwere Arbeit. Ans Spielen dachte niemand. Aber wenn der Sommer kam, war alles vergessen. Der Sommer war unsere Zeit. Dann gingen wir zu den Flößern auf den Fluss und ritten die Baumstämme, als ob sie ungezähmte Pferde wären. Es war eine wilde, gefährliche Jagd, die nur die Besten beherrschten. Manch einer kam nie wieder.«
    Wolken mussten sich vor die Sonne geschoben haben. Ein Schatten glitt über sein Gesicht. Er hatte die Stimme gesenkt und starrte an ihr vorbei. Anna fühlte sich plötzlich derart zu ihm hingezogen, dass sie für einen Moment ihre Absicht vergaß, so schnell wie möglich aus seinem Bannkreis zu verschwinden. Seine Augen wirkten, als ob glühende Kohlen ein Feuer in ihnen entzündet hätten. Wehmut und Trauer schienen in ihnen zu schmelzen, und die Sehnsucht nach der Zeit, als sie Kinder waren. Sie hörte, wie der Wind durch die Blätter rauschte, und es war ihr, als ob sich unter dieses Geräusch das Toben der Strömung und das heisere Brüllen der Flößer mischte.
    »Mein Bruder war einer der Wildesten. Ich war zwölf, als es passierte. Wir waren übers Wasser gelaufen. So nannten wir das, wenn man von Stamm zu Stamm sprang bis zur Mitte des Flusses, dorthin, wo es am tiefsten war. Wir dachten, wir kennen den Strom. Seine Untiefen, die Wirbel und Strudel, all das hatten wir erkundet und fühlten uns sicher in allem, was wir taten. Zu sicher, wie sich herausstellte. Denn die Bäume kennt keiner. Die Stämmedrehen und verkanten sich. Sie prallen mit der Wucht einer mittleren Detonation aufeinander, wenn sie die Stromschnellen erreichen. Er rutschte aus, stürzte und geriet zwischen zwei Stämme. Sie zermalmten ihn wie Mühlräder. Er wurde hinabgezogen in die Tiefe und verschwand vor meinen Augen. Die Baumstämme schoben sich über ihm zusammen. Er war nicht mehr zu retten.«
    Wie gebannt hörte Anna zu. Es war das erste Mal, dass Weller ihr gegenüber etwas von sich preisgab. Er tat es mit der Stimme eines routinierten Erzählers. Doch tief in ihm klang eine Trauer mit, die Anna beinahe die Kehle zuschnürte. Er hatte sich ganz auf den Brettern ausgestreckt, sein Blick hatte sich in dem flirrenden Grün des Blätterdachs verloren, und fast glaubte Anna, er hätte vergessen, dass sie bei ihm war.
    »Trotzdem habe ich es versucht. Ich tauchte und bekam ihn zu fassen. Doch die Stämme schoben sich immer wieder über uns zusammen. Ich war in derselben tödlichen Falle wie er. Das Wasser brodelte und kochte, und wenn es irgendwo eine Lücke gab, schloss sie sich Sekunden später wieder. Ich wusste nicht mehr, wo ich war. Ich verlor die Orientierung. Ich verlor das Bewusstsein. Ich verlor …«
    Er brach ab.
    Anna dachte nicht nach. Sie streckte die Hand aus und berührte leicht seinen Arm. Erstaunt sah er sie an. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass sie Mitgefühl zeigte. Sie wollte ihre Hand wegziehen, doch er schnellte mit dem anderen Arm vor und hielt sie fest. Der Griff seiner Finger an ihrem Unterarm brannte wie Feuer. Er zog sie näher zu sich heran. Sie wollte sich sträuben, wollte ihm klarmachen, dass es eine menschliche Geste gewesen war und kein Verlangen, doch ihre Gedanken wirbelten durcheinander und fanden keinen festen Halt mehr. Sie sah nur noch seine Augen, in denen diese dunkle Glut loderte und mit denen er sie ansah, als sei sie das einzige begehrenswerte Wesen auf dieser Welt.
    »Anna …«
    SeineStimme klang rau. Ihr Klang rieselte ihren Rücken hinab, und sie spürte, wie alles in ihr begann, sich nach ihm zu sehnen. Für einen Moment lang war es, als ob die Zeit stehengeblieben wäre und sie beide alleine auf dieser Welt wären, abgeschirmt von neugierigen Blicken und fast zärtlich umhüllt von einer grünen, wispernden Wand, die Geheimnisse wohl zu hüten wusste. Er schob seine andere Hand in ihren Nacken und zog sie näher zu sich. Anna vergaß, sich zu wehren. Seine Geste war mehr beschützend als besitzend, und sie spürte, dass dieses Baumhaus neben den

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