Dämonenherz
löste sich vor ihren Augen auf in eine Wolke aus Staub.
»Anna?«
Weller kam die Kellertreppe heruntergerannt.
»Verdammt!«
Er rutschte auf etwas aus und konnte sich gerade noch am Geländer festhalten.
»Was ist denn hier passiert?«
Geblendet von dem plötzlichen Licht sah Anna sich um. Sie hatte eine unglaubliche Schweinerei veranstaltet. Fünf Einmachgläser mit nicht mehr zu definierendem Inhalt lagen zer brochenauf dem Boden. Das war aber auch das Einzige, was von dem übriggeblieben war, was Anna soeben erlebt hatte.
»Ein Mann«, flüsterte sie und zeigte auf ein Häufchen Sand zu ihren Füßen. »Er war hier und hat …«
»Ein Mann?«
Weller sah sich um. Er ging zum Kellerfenster, doch das war schon seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden. Dann warf er noch einen Blick die Treppe hinauf. Außer ihnen beiden war niemand im Raum.
»Wo war er? Wie sah er aus?«
Hilflos zuckte Anna mit den Schultern. Der Riss, der sich eben noch über ihrem Kopf aufgetan hatte, war zu einer kleinen, mehrfach übertünchten Unregelmäßigkeit im Putz geschrumpft. Nur der Mauerbrocken, der neben ihr zerschellt war, blieb real.
»Ich habe geglaubt, der Keller stürzt ein.«
Anna wusste, wie lächerlich sich ihre Worte anhörten. Sie hatte Angst, Weller ins Gesicht zu blicken. Wahrscheinlich würde er sich innerlich ausschütten vor Lachen. Doch er erwiderte nichts. Er schob die Hände in die Hosentaschen und strich mit den Schuhspitzen nachdenklich über einen kleinen Haufen Sand.
»Und dann sah ich einen Schatten, der auf mich zukam.«
Weller verteilte den Sand über den Boden.
»Es tut mir leid. Vielleicht habe ich mir das alles nur eingebildet.«
»Wahrscheinlich.«
Weller sah hoch. Dann trat er auf sie zu und legte seine Hände auf ihre Schultern. Plötzlich überkam Anna der unwiderstehliche Wunsch, sich in seine Arme zu schmiegen. Er war hier, und alles war gut. War das nicht die einfachste Gleichung der Welt?
»Hast du irgendetwas in deinem Besitz, das dir nicht gehört?«
Erst begriff sie nicht, was er damit meinte.
»Hast du etwas eingesteckt? Behalten? Nicht zurückgegeben?«
»Wie bitte? Du meinst, ob ich etwas gestohlen habe?«
»Auchdas.« Weller nickte. »Und ich rede nicht von Äpfeln.«
Sie schüttelte seine Hände ab. »Nicht dass ich wüsste. Ich glaube, wir sollten jetzt nach oben gehen. Nachtisch fällt heute aus.«
Sie versuchte, an ihm vorbeizukommen, ohne ihn zu berühren. Als sie die Kellertreppe erreichte, blieb sie stehen. Weller schien ihr nicht folgen zu wollen. Er war stehen geblieben und schaute wieder auf den Boden. Noch einmal fuhr er mit seinem Schuh über den Sand. Das knirschende Geräusch ließ Anna eine Gänsehaut den Rücken hinunterrieseln.
»Wir sollten das Haus sichern«, sagte er leise.
Und plötzlich wusste Anna, dass er nicht von der Statik sprach.
10 .
A nna fand Jean-Baptiste in derselben aufrechten Haltung, in der sie ihn zuletzt gesehen hatte. Ihr Vater war bei ihm, allerdings hatte er es sich in seinem Fernsehsessel bequem gemacht und war eingeschlafen. Sein leises Schnarchen erfüllte den stillen Raum mit Ruhe und Frieden. Der Spuk aus dem Keller war verflogen. Anna begann, an eine Halluzination zu glauben. Kein Wunder, denn sie hatte seit Tagen kaum etwas gegessen, und die Erlebnisse der letzten Tage waren ein bisschen viel für ihr bis dahin recht ereignisloses Leben.
Sie schloss leise die Tür und schlich über den Flur in die Küche. Sie war blitzblank und so aufgeräumt, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Weller musste in der kurzen Zeit gemeinsam mit ihrem Vater eine gewaltige Putzorgie veranstaltet haben. Sogar die Kupferpfannen, die dunkel angelaufen waren, glänzten wie neu.
Kopfschüttelnd ging sie zum Kühlschrank, holte eine Tüte Milch heraus und goss sich ein Glas ein. Sie hörte, wie Weller die Kellertreppe hochkam und die Tür sorgfältig hinter sich zuzog. Dann ging er an der Küche vorbei hinaus in den Garten. Anna vernahm einen leisen Pfiff, und Jean-Baptiste sprang auf und folgte seinem Herrn. Neugierig trat sie ans Küchenfenster und sah hinaus. Mittlerweile war es dunkel geworden. So dunkel, wie Anna es hier noch nie erlebt hatte. Dann fiel ihr ein, dass dieumliegenden Häuser ja schon längst verlassen waren und wohl auch die meisten Straßenlaternen nicht mehr brannten. Ihr Vater lebte tatsächlich auf einer Insel. Bockig und uneinsichtig hatte er sich stoisch geweigert, den Baggern zu weichen. Sie lächelte, als sie
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