Dämonenherz
Speedboot erreichte man die Londoner Innenstadt in weniger als fünfzehn Minuten, statt sich zwei Stunden über die verstopften Straßen zu quälen.
Meist benutzte Weller seine Solaris. Eine schlanke, schnittige Schönheit, die er gerne für offizielle Anlässe ausführte, weil er damit schon bei seiner Ankunft alle Blicke auf sich zog. An diesem Tag jedoch entschied er sich für die weniger auffällige Elysia. Zwei seiner Angestellten, die sich um nichts anderes als das Wohl seiner Büroflotte kümmerten, machten das Boot gerade startklar. Wenig später schoss es auf die Mitte des Flusses und hielt auf die Tower Bridge zu. Der Himmel war, wie so oft, bewölkt. Zudem trieb ein starker Wind die Wolken vor sich her. Auch die Temperaturen waren um einiges niedriger als auf dem Kontinent.
Wetter war etwas, um das sich Weller normalerweise nicht kümmerte. Es machte ihm nichts aus, bei Minusgraden und Schneetreiben mit offenem Hemd über die Straße zu gehen. Seine Bräune holte er sich bei ausgedehnten Kricketspielen in Nepal oder Jachtausflügen vor den Küsten Sardiniens. Meist gekoppelt mit geschäftlichen Besprechungen, bei denen seine Gesprächspartner deutlich mehr unter dem Klima zu leiden hatten als er. Weller war immun gegen Hitze und Kälte.
Glaubte er.
Bis zu diesem Moment, als er das Steuer des Bootes an Jean-Baptiste übergab und die Flybrigde verließ. Er fröstelte. Weller spürte den besorgten Blick seines Dieners im Rücken, als er hinunter in die Eignerkabine ging. Er nahm einen Kaschmirpullover von der Bank und legte ihn sich um die Schultern. Was, verdammt noch mal, war mit ihm los?
DieGischt spritzte ans Fenster und floss in Schlieren wieder hinab. Weller erkannte die Spundwände des Themse-Kanals, auf die die Jacht nun mit verminderter Geschwindigkeit zuhielt. Wenig später brüllte der Motor während des Anlegemanövers mehrmals auf. Schließlich hatte Jean-Baptiste die Drei-Millionen-Euro-Jacht nahe genug an die Kaimauer gelenkt, damit der zweite Mann an Bord, ein erfahrener Skipper, an Land springen und die dicken Taue um die Poller legen konnte. Sein Diener klopfte an die Holztür.
»Wir sind da, Mylord.«
In Großbritannien neigte Jean-Baptiste dazu, seine Redeweise leicht viktorianisch zu färben.
Weller verließ das Boot und stieg in einen dunklen Bentley, der neben der Kaimauer geparkt war. Anders als auf dem Festland übernahm hier nicht sein Diener das Steuer, sondern einer der Ghule des britischen másters . Der Mann war von kräftiger Statur, hatte breite Schultern und einen länglichen, völlig kahlen Kopf. Seine Silhouette sah aus wie ein Ei auf einem Würfel. Er verzog keine Miene, öffnete auch nicht den Wagenschlag und verhielt sich den Rest der Fahrt über vollkommen stumm.
Weller merkte, wie ihm nach der Kälte auf dem Boot siedend heiß wurde. Er fasste sich an die Stirn. Hatte er eine Infektion? Irgendein merkwürdiges Fieber? Egal. Der máster würde es herausfinden.
Sie brauchten trotz der Abkürzung durch das Boot immer noch eine knappe halbe Stunde, bis die Limousine sich durch den kollabierenden Verkehr der Innenstadt zum Picadilly Circus gequält hatte. In einer ruhigeren Seitenstraße rollte der Wagen in eine Auffahrt. Der Fahrer steckte eine Chipkarte in den Schlitz, der kaum sichtbar unter einem Messingschild angebracht war. Das schwere Tor glitt geräuschlos zur Seite. Dahinter öffnete sich ein winziger Stadtpark, gerade groß genug, dass der Wagen halten und wenden konnte. Weller stieg aus und betrat das Haus, das im neunzehnten Jahrhundert erbaut worden war, von einem umsichtigen Eigentümer jedoch mit allen Annehmlichkeitendes modernen Lebens ausgestattet worden war.
In der Empfangshalle wurde er bereits erwartet. Eine adrette Schwester in weißer Uniform kam ihm lächelnd entgegen, ein Klemmbrett unter dem Arm, und begrüßte ihn herzlich.
»Mister Weller! Wie schön, Sie wiederzusehen. Hatten Sie eine angenehme Reise?«
»Danke, Tammy.«
Weller schälte sich aus dem Mantel, den Jean-Baptiste unbegreiflicherweise mitgenommen hatte, als hätte er geahnt, dass sein Herr in diesem britischen Herbst frieren würde. Die Räume waren angenehm temperiert, in einem gewaltigen Kamin flackerte ein Feuer. Darüber hinaus wies nichts auf irgendetwas Persönliches hin. Keine Bilder an den Wänden, die Teppiche auf dem Parkett hätten auch in einer Zahnarztpraxis liegen können. Das ganze Haus bewahrte sich trotz des Eindrucks von Wohlstand eine zurückhaltende
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