Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
Tenragan hatte kein einziger Ranginhaber dergleichen gewagt. Doch als die Rebellion an Einfluss gewann, wechselten immer mehr Krieger mitten im Zwist einfach die Seite. Die Säuberung schädigte jedermann, und viele der Familien, die man enteignete und zur Zwangsarbeit verurteilte, hatten im Hüter-Heer Söhne dienen. Brakandaran hatte Tarjanian zu Ghari sagen hören, in diesem Jahr seien mehr Hüter fahnenflüchtig geworden als in den vorangegangenen zwei Jahrhunderten.
Frohinia verfiel auf eine ebenso voraussehbare wie kaltsinnige Gegenvorkehrung. Kurz nachdem sie verkündet hatte, dass fortan für jeden Fahnenflüchtigen ein Kamerad hängen sollte, lief eine neue Nachricht um: Über Nacht hatte es mit der Fahnenflüchtigkeit ein Ende genommen. Niemand bildete sich ein, dass Frohinia leere Drohungen ausstieß. Das Selbstbewusstsein der Hüter erlitt einen schweren Schlag.
Unterdessen jedoch hatten sich der Rebellion genügend Männer angeschlossen, um sie von einem Missstand zu einer wahren Gefahr zu machen. Entrüstete Heiden, die Mistgabeln schwangen, waren eines; aber sobald sich vorzüglich im Kriegshandwerk ausgebildete, im Kampf erfahrene Hüter auf ihre Seite stellten,
erlangten die Auseinandersetzungen eine gänzlich andersartige Tragweite. Mit jedem Tag, den die Kämpfe andauerten, drehten sie sich immer weniger um den Schutz der Heiden und gediehen immer stärker zum Krieg gegen die Schwesternschaft.
Doch es gab, befand Brakandaran, einen Lichtblick. Kürzlich war ein neues Gerücht entstanden, dem zufolge Tarjanian, der Dämonenspross, von den seit langem toten Harshini geschickt worden sein solle, um Medalons Heiden von der Knute der Schwesternschaft zu erlösen. Tarjanian blieb unbeeindruckt, als er es hörte, und R'shiel lachte rundheraus darüber; mehr als ein Rebell jedoch betrachtete Tarjanian aufmerksamer als bisher. Manche verstiegen sich sogar dahin, ihn mit »Göttlicher« anzureden, handelten sich damit seitens Tarjanians aber nichts außer Wutausbrüche ein. Brakandaran entlockte die Vorstellung, der frühere Hüter solle das Dämonenkind sein, nur Heiterkeit, ein Umstand, der allerdings Tarjanians gegen ihn gehegtes Misstrauen umso mehr vertiefte. Dennoch fragte sich Brakandaran unwillkürlich, was wohl Frohinia Tenragan davon halten mochte. Als Mutter eines Göttlichen verrufen zu sein konnte einer Ersten Schwester unmöglich behagen.
Die Rebellen hatten ihr Hauptlager in einem verlassenen Weinberg aufgeschlagen, den die Eigentümer nach allzu vielen Überschwemmungen, durch welche die Rebstöcke zusehends morsch geworden waren, zuletzt aufgegeben hatten. Für die Wahl dieser Örtlichkeit gab es mehrerlei Gründe. Der Weinberg lag nah am Gläsernen Fluss, dem bedeutendsten Strom Medalons. Er befand sich südlich Testras, der größten Stadt Mittelmedalons, jedoch weit genug von ihr entfernt, um keine zufällige Entdeckung herauszufordern. Außerdem ließ er sich leicht gegen jeden Ansturm verteidigen. Dort bildete Tarjanian, unterstützt durch die anderen Fahnenflüchtigen, die sich ihm im Lauf des Frühjahrs angeschlossen hatten, das junge Rebellenheer aus. Neue Fahnenflüchtige blieben freilich aus, seit Frohinia die im Dienst Verbleibenden mit dem Strang bedrohte, aber die Anzahl der Männer, die Tarjanian zur Seite standen, genügte vollauf, um einen entscheidenden Unterschied auszumachen. Doch trotz allem konnten sich die Rebellen, so lautete Brakandarans Beurteilung, ohne erheblich mehr Hilfsmittel und viel mehr Männer vorerst nicht erhoffen, Frohinias Herrschaft ernsthaft ins Wanken zu bringen.
R'shiel vertrat einen völlig gegenteiligen Standpunkt. Unaufhörlich drängte sie zu stets verwegeneren Handstreichen, und die streitbaren Männer ihrer Umgebung, allen voran Ghari und seine Freunde, hingen nachgerade an ihren Lippen. Mehrere Überfälle waren verübt worden, die Tarjanian nicht angeordnet hatte, aber in die R'shiel mittelbar oder unmittelbar verwickelt gewesen war - und die beinahe verhängnisvolle Folgen gezeitigt hatte. Als er ihnen anfangs begegnet war, war Brakandaran der Meinung gewesen, Tarjanian und seine Schwester seien sich ähnlich, aber inzwischen herrschte zwischen ihnen fast ständig Streit. Tarjanian mahnte zur Vorsicht, R'shiel hingegen befürwortete immerzu kämpferisches Zuschlagen. Brakandaran glaubte, dass sie, wenn sie dazu die Gelegenheit erhielte, die Zitadelle mit den bloßen Händen Stein um Stein niederreißen würde. In Anbetracht ihres
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