Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
Gefährdung für die Rebellen drohte ihnen aus den eigenen Reihen. Tarjanian war so gescheit, die Schwierigkeiten, vor denen sie standen, zu erkennen; er bereitete Brakandaran keinerlei Sorgen. In der Tat schätzte er - ungeachtet des Argwohns, den Tarjanian ihm entgegenbrachte - den ehemaligen Hüter sehr. Dagegen würde R'shiel den Rebellen am besten helfen, wenn sie beim nächsten Gefecht den Tod fände.
»Warum so trübsinnig, Brakandaran?«
Er erschrak, als er die Stimme vernahm, und blickte sich um. Die Nacht war finster, die Luft still und kühl. Er spürte die Anwesenheit der Göttin, aber konnte sie nicht sehen.
»Kalianah?«
»Ah, du entsinnst dich an mich.« Aus den verwitterten Rebstöcken kam die Gestalt eines kleinen Mädchens zum Vorschein. Es hatte einen Schopf hellblonden Haars und trug ein weißes, durchsichtiges Hemdchen, das sich trotz der Windstille bei jeder Bewegung kräuselte. Die nackten Füße schwebten knapp über dem Boden. »Ich habe den anderen Göttern beteuert, dass wir von dir, nur weil du so lange nicht mit uns gesprochen hast, nicht vergessen worden sind.«
»Wie könnte ich dich vergessen, Kalianah?«, fragte Brakandaran. Während die Liebesgöttin auf ihn zuschwebte, fühlte er die Macht, die in ihr wohnte, von ihr ausstrahlen wie die Wärme eines wohligen Feuers. Ihr war in dieser Erscheinungsweise schwerlich zu widerstehen.
»Genau das habe ich Zegarnald erklärt«, antwortete Kalianah und hockte sich vor ihm auf die Erde. Aus großen Augen schaute sie zu ihm auf und furchte ungnädig die Stirn. »Du bist mir zu groß, Brakandaran. Herunter mit dir.«
»Warum machst du dich nicht einfach größer?«, meinte er. Kalianah konnte jede beliebige Gestalt annehmen, erschien jedoch häufig als Kind. Kinder hatte jeder gern.
»Weil du ein Sterblicher bist, aber ich eine Göttin«, stellte sie klar. »Die Regeln werden von mir bestimmt.«
Brakandaran kauerte sich nieder und widerstand ihren Versuchen, ihn allein durch ihr übermächtiges Wesen in ihren Bann zu ziehen. »Was möchtest du, Kalianah?«
»Ich will wissen, warum du so lange brauchst«, sagte die Göttin. »Nein, eigentlich nicht ich. Zegarnald ist es, der es wissen will. Du hast das Dämonenkind gefunden. Es ist an der Zeit, dass du sie ihrem Heim zuführst.«
»Seit wann betätigst du dich als Zegarnalds Botin?«, fragte Brakandaran. Zum zweiten Mal wandte sich auf Wunsch des Kriegsgotts eine Göttin an ihn. So viel Zusammenwirken unter den Unsterblichen war etwas Außergewöhnliches. Zegarnald mochte dazu im Stande sein, die schwächere Flussgöttin für Botengänge zu benutzen, doch Kalianah musste sich niemandes Geheiß unterwerfen.
»Ich bin nicht seine Botin«, widersprach sie. »Bloß bin ich ausnahmsweise mit ihm einer Meinung. Außerdem wollte ich dich wieder sehen. Du bleibst dem Sanktuarium schon so lange fern. Und du hast kein Wort mehr an mich gerichtet.«
»Seit zwanzig Jahren bin ich unterwegs, Kalianah. Aber dir ist wahrscheinlich eben erst aufgefallen, dass ich nicht da bin.«
»Das ist nicht wahr. Nimm mich auf den Arm!«
Brakandaran tat es, und sie schlang die Ärmchen um seinen Hals, lehnte den Kopf an seine Schulter. »Liebst du mich, Brakandaran?«
»Jeder liebt dich, Kalianah. Dagegen ist niemand gefeit.«
»Liebt auch das Dämonenkind mich?«
»Sie verehrt dich«, versicherte Brakandaran.
»Ich will sie sehen«, erklärte Kalianah. Sie entwand sich seinem Arm und sprang hinab aufs weiche Erdreich, ohne einen Fußabdruck zu hinterlassen. »Zeig sie mir!«
»Ich soll dich in eine Weinkellerei voller Sterblicher führen, nur um sie dir zu zeigen? Du bist eine Göttin. Kannst du sie nicht selbst finden?«
»Natürlich kann ich's. Aber es ist mein Wunsch, dass du mich zu ihr bringst. Und weil ich eine Göttin bin, musst du mir willfahren.«
Brakandaran stöhnte auf. »Nun gut. Aber zuvor musst du deine Gestalt wechseln. Mit diesem Äußeren kann es nicht geschehen.«
Augenblicklich verwandelte sich das Kind in eine schlichte junge Frau in einfacher, ländlicher Kluft. »Ist es so tauglicher?«
»Ich glaube ja.« Trotz gewisser Bedenken kehrte Brakandaran, die Göttin an seiner Seite, zum Gutshaus um. Als er beiläufig den Blick senkte, sah er, dass ihre Füße nach wie vor über dem Lehm schwebten. »Alle Wetter,
Kalianah, du musst die Füße aufsetzen. Es sei denn, du möchtest dich zu erkennen geben und großes Aufsehen verursachen.«
»Es ist unnötig, grob zu werden,
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