Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
Blick; dann schaute er fort.
31
Eine Stunde später durchquerte die Kolonne Kordale und begann anschließend den Weg aus dem Hochland abwärts zu dem im Flusstal gelegenen Breitungen. Zur Abenddämmerung ordnete Loclon einen Halt an, und in einem Pappelhain wurde ein Lager aufgeschlagen. Die Gefangenen durften aussteigen, um eine Abendmahlzeit einzunehmen, wurden jedoch zur Übernachtung wieder in die Wagen gesperrt. Da sie zu wenig Raum hatte, um sich auszustrecken, machte R'shiel es sich in ihrem Winkel des Frauenwagens so behaglich wie möglich. Die Hüter stellten rings ums Lager Schildwachen auf und blieben wachsam. Man erwartete beinahe mit Gewissheit einen Befreiungsversuch. Nicht einmal von dem Gerücht, Tarjanian habe zuletzt doch die Rebellion verraten, versprach man sich eine Minderung der Gefahr. Im Gegenteil, man musste unterstellen, dass die Rebellen ihn gerade deswegen in ihre Gewalt bringen wollten.
Aber trotz der von den Hütern gehegten Befürchtungen verstrich die Nacht ereignislos, für die Gefangenen allerdings eher ungemütlich. Es fand kein Überfall statt. R'shiel konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass manche Hüter fast enttäuscht wirkten. Schon im ersten Morgenrot befand die Kolonne sich erneut auf der Landstraße, und die Pferdewagen holperten elend wackelig durch die bittere Kälte. Den ganzen Tag lang litten die Häftlinge unter den jämmerlichen Zuständen ihrer Beförderung, während sich ringsum die Landschaft nach und nach wandelte. Das Braun wich immer häufigerem Grün, und auf den noch frostigen Weiden grasten rotfleckige Kühe, deren Atem als milchige Wolken in der Luft schwebte, während sie die Kolonne gleichmütig vorüberziehen sahen.
Kurz vor Anbruch des Abends kam Breitungen in Sicht. Ohne Aufenthalt fuhr man die Gefangenen zur örtlichen Hüter-Bastei, wo sie eine dürftige kalte Mahlzeit erhielten und die fragwürdige Wohltat einer mit Stroh ausgelegten Zelle genießen konnten, während ihre Bewacher Unterbringung in den Unterkünften fanden. Obwohl die Hüter vollständig auf der Hut blieben, erfolgte auch in der nächsten Nacht kein Rebellenangriff. Allgemein herrschte bei den Häftlingen die Ansicht vor, entweder hätten die Rebellen Kenntnis vom vorgesehenen Reiseweg und führten den Angriff später durch, oder sie erachteten es als richtig, sich um Tarjanian überhaupt nicht mehr zu scheren. R'shiel vermutete, dass das Erstere zutraf. Sie kannte die Rebellen.
Am folgenden Morgen fuhr man die Gefangenen durch den Ort zum am Fluss gelegenen Hafen. Menschen versammelten sich am Straßenrand, um einen Blick auf den berühmt-berüchtigten Rebellen zu erhaschen, doch die Hüter bildeten mit ihren Pferden einen engen Ring um die Gitterwagen, sodass die Breitungener in den meisten Fällen enttäuscht wurden. Das Volk befand sich in seltsam gedämpfter Stimmung. Ausnahmslos seufzten die Häftlinge aus Erleichterung auf, als sie das Hafengelände erreichten.
Am Liegeplatz eines Schiffs ließen die Hüter die Fahrzeuge halten und verteilten sich um die Landseite, um den Zugang zu sperren. Das für die Weiterreise bestimmte Flussboot war eine Barke, an deren Bug in verblichenem Weiß der Name Melissa stand. Die Kriegsleute trieben die Verbannten zur Ufermauer und auf den schmalen Anlegesteg. Kaum betrat R'shiel das Deck, packte eine Faust sie und schob sie zu den übrigen weiblichen Gefangenen. Anschließend führte man die Pferde der zehn Hüter an Bord, welche die Verurteilten nach Grimmfelden begleiten sollten, ein Vorgang, der beträchtliche Zeit beanspruchte. Zum Schluß jedoch stapfte auch Loclon den Anlegesteg herauf, und der Capitan der Melissa gab den Befehl zum Ablegen.
Wäre es Loclon überlassen geblieben, hätten die Gefangenen die gesamte Dauer der Flussfahrt unter Deck zubringen müssen. Der Hauptmann gefiel sich in der Vorstellung, hinter ihnen die Tür zu schließen und nicht mehr zu öffnen, bis das Schiff am Bestimmungsort anlegte. Sobald jedoch der Capitan diese Überlegung vernahm, bekam er einen Wutausbruch, und sein Gebrüll drang mühelos an die Ohren der im kalten Frachtraum eingesperrten Häftlinge.
»Sie unten lassen?!«, dröhnte seine Stimme. »Dass ich den Ruderbaum fress! Dergleichen duld ich nicht.«
Die Gefangenen pressten die Ohren ans dünne Holz der Tür, um dem Wortwechsel zu lauschen. Loclons Antwort blieb unverständlich, aber den Capitan konnte man womöglich noch in der Zitadelle hören.
»Mir ist's einerlei, ob sie eine
Weitere Kostenlose Bücher