Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
spätherbstliche Kühle zu schützen, nahm sie den grauen Strickschal und schlang ihn um die Schultern, dann folgte sie ihrer Zimmergenossin in den Korridor des Seminaristinnen-Dormitoriums.
»Wartet auf uns!«
R'shiel und Junie blieben stehen und warteten auf die drei Mädchen, die sie vom anderen Ende des Flurs gerufen hatten. Heute fand in der Arena ein großes Ereignis statt, doch R'shiel bereute es schon, sich Junie angeschlossen zu haben. Dort versammelten sich jetzt jede Novizin und Seminaristin der Zitadelle, jeder dienstfreie Hüter und wahrscheinlich ein Großteil der Schwestern und Stadtbürger. Georj hatte die von Tarja abgelehnte Herausforderung angenommen. Alle wussten darüber Bescheid. Jeder wollte dabei sein.
Dem Klatsch zufolge sollte der einzige Mann, den Georj Drake als Kadett in der Arena nicht geschlagen hatte, Tarjanian Tenragan sein. Seit Monaten galt Fähnrich Loclon, ein geschniegelter, blendend aussehender Blondschopf, als unangefochtener Liebling der Arena. Den nun bevorstehenden Kampf müsse man unbedingt sehen, beharrten die Mädchen, vielleicht gäbe es das aufregendste Arena-Duell seit Jahren.
Gewöhnlich hatte R'shiel kein großes Interesse an den Arenakämpfen. Sie war in der Zitadelle aufgewachsen, ihr Bruder war Hüter. Für sie hatte es wenig Aufregendes oder Abenteuerliches an sich, wenn Männer mit stumpfen Schwertern aufeinander einhackten. Am Anfang, vor über einem Jahrhundert, hatten diese Kämpfe den Zweck von Waffenübungen erfüllt. Heute dienten sie als hauptsächlicher Zeitvertreib der Festungsstadt, und die Teilnehmerschaft blieb nicht auf die Kadetten beschränkt. Oft traten Krieger noch lange nach der Aufnahme ins Hüter-Heer und dem Aufstieg in führende Ränge zu Arena-Duellen an. Gelegentlich drängte sich ein tapferer Bürgersmann zum Kampf, obwohl der Oberste Reichshüter, selbst wenn die Schwerter stumpfe Klingen hatten und die Verletzungen meistens nur aus blauen Flecken und höchstens einem Knochenbruch bestanden, von solcher Verwegenheit abriet.
Aber heute durfte man eine andere Art der Auseinandersetzung erwarten. Stumpfe Schwerter und Zurückhaltung kamen dabei nicht infrage.
Der Kampf sollte dauern, bis das erste Blut floss. Loclon hatte die Hauptleute auf das Förmlichste zum Arena-Duell gefordert, und im Namen aller Kameraden hatte Georj die Herausforderung angenommen.
Während R'shiel mit ihren Freundinnen die Straße zum Amphitheater durcheilte, wunderte sie sich über Georj s Verhalten. Er hatte mehrere Jahre lang nicht in der Arena gekämpft, Loclon hingegen konnte man dort beinahe jede Woche sehen.
Als die fünf Seminaristinnen das Amphitheater betraten, hatte sich bereits eine beträchtliche Zuschauerschaft versammelt. Kalter Wind blies über den Abhang des innen vertieften Hügels, in dessen Mulde die Arena lag. Es fröstelte R'shiel, und sie zog den Schal enger um die Schultern. Das Kopfweh hatte sich auf ein dumpfes Pochen hinter den Augen vermindert, und sie bemühte sich, einfach nicht daran zu denken.
Junie zerrte R'shiel am Arm vorwärts und zwängte sich mit ihr durch die Menschenmenge. Sobald sie auf die Höhe des grasigen Ringwalls gelangten, blickte Junie sich um und zeigte schließlich auf zwei Gestalten in roten Waffenröcken, die am weiß gestrichenen Zaun lehnten.
»Das ist dein Bruder, oder?«, fragte sie.
R'shiel zwinkerte in den Sonnenuntergang und spähte verkniffen in die angegebene Richtung. Tatsächlich stand dort Tarja mit Garet Warner zusammen.
»Wo?«, fragte Kilene aufgeregt und verharrte an R'shiels anderer Seite. »Lass uns zu ihnen gehen, dann kannst du mich ihm vorstellen.«
R'shiel sah Kilene an und schüttelte den Kopf. Jetzt verstand sie, weshalb Kilene und die anderen Mädchen so darauf erpicht gewesen waren, sich Junie und ihr anzuschließen. »Bestimmt wäre es Tarja nicht recht, von kichernden Seminaristinnen umringt zu sein. Außerdem unterhält er sich gerade mit Obrist Warner. Dessen Aufmerksamkeit möchtest du doch bestimmt nicht auf dich ziehen, oder?«
Zwar erwiderte Kilene verunsichert R'shiels Blick, aber ihr Wunsch, Tarja kennen zu lernen, überwog ihre Furcht vor Garet Warner. »Kommt«, drängelte sie. »Wenn wir hier bummeln, finden wir keinen Sitzplatz mehr.«
R'shiel seufzte und folgte Kilene, Junie und den anderen Mädchens ins Innere des Amphitheaters. Doch auf dem Weg zu den beiden Hütern verließ die Mehrzahl der Mut; sie hielten an und ließen R'shiel den Vortritt, ehe sie
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