Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
ließ sich möglicherweise auch der Veranlasser der Tat ermitteln.
Sie blieben länger als beabsichtigt im Kastell. Tarjanian hatte gehofft, am folgenden Tag schon im Morgengrauen weiterreiten zu können. Er hatte den Auftrag gehabt, eine Besichtigung der Grenzdörfer durchzuführen, und war damit fertig gewesen, bevor er aufgrund einer Laune zu diesem verkommenen Kastell geritten war, um es ebenfalls in Augenschein zu nehmen.
Offenkundig hätte es bei einem Angriff auf Medalon keinerlei Nutzen. Es stand mitten in einer ausgedehnten Steppe an einer Stelle, an der es für die Kriegsführung keinen Sinn hatte, und war anscheinend übereilt und mangelhaft von Leuten errichtet worden, die von der Kriegskunst wenig Ahnung gehabt hatten. Jeder Angreifer konnte es auf dem Vorstoß nach Medalon schlichtweg umgehen; insofern verkörperte es kein ernsteres Hindernis als ein Stein auf dem Weg. Künftige Verteidigungswerke mussten viel weiter im Norden angelegt werden, unmittelbar an der Grenze, wo an der Westseite die Heiligen Berge und an der östlichen Seite der Gläserne Fluss das Zugangsgebiet zur Hochebene einengten.
Doch vereitelten seine eigenen Untergebenen auf gerissene und wohl vorsätzliche Weise Tarjanians Bestreben, das Kastell möglichst früh zu verlassen. Erst sagte ihm Sandar, der für die Vorräte verantwortliche Hüter, er könne wahrscheinlich die Kinder mit noch mehr Nahrungsmitteln beschenken, falls man ihm Zeit zur nochmaligen Durchsicht der Verpflegung gewährte. Dann meldete plötzlich Sergeant Nork, sein Pferd habe sich das Fesselgelenk verstaucht und es müsse zur Behandlung ein Umschlag gemacht werden. Eines der Kinder habe ihm von einem Kraut erzählt, das wild in der Steppe wachse und am besten geeignet sei für eine Breipackung. Erteilte der Hauptmann ihm die Genehmigung, sich mit mehreren Kindern aufs Kräutersammeln zu begeben? Lange dauern könnte die Suche nicht,
und ein lahmes Pferd, so führte Nork mit sachlicher Berechtigung an, würde den Rückritt nur verlangsamen. Während man auf die Wiederkehr der Kräutersammler wartete, trat Ewan mit dem Anliegen an seinen Hauptmann heran, ob er unterdessen das Dach des Saals ausbessern dürfe. Tarjanian warf die Hände in die Höhe und fügte sich ins Schicksal.
Ein zweites Mal stieg er auf den Söller des Turms und hielt Ausschau in die grasige Landschaft, versuchte sich einzureden, dass er keine Zeit vergeudete. Wieder klomm auch Davydd die zerbröckelte Treppe empor.
»Lasst mich raten, Fähnrich. Ihr möchtet, da wir gerade hier verweilen, für die Kinder eine Schule errichten.«
Davydd schmunzelte. »Ich dachte, um es offen zu sagen, an eine Art von Aufenthaltsraum, gelegen nach Osten und mit gedeckter Laube, und vielleicht im Westflügel einen Sonnensaal.«
Voller Staunen schüttelte Tarjanian den Kopf. »Was meint Ihr, Fähnrich, wie sollen wir unseren Vorgesetzten die Anwesenheit dieser Heiden erklären? Und die Tatsache, dass wir nichts getan haben, um sie auszutreiben?«
»Heiden, Hauptmann? Ich sehe keine Altäre, habe keine Opferriten beobachtet, auch keine sonstigen Anzeichen heidnischen Götzendienstes. Wir haben hier Waisen in der Obhut einer im Ruhestand befindlichen Schwester angetroffen, oder nicht?« Offenbar beliebte es Davydd, Bereths Eichel-Amulett außer Acht zu lassen.
»Hm, da könntet Ihr im Recht sein. Außerdem ist das Kastell für Grenzverteidigungszwecke ohne Bedeutung.« Tarjanian lehnte sich auf die brüchige Brüstung und musterte neugierig den jungen Fähnrich. »Ich weiß nicht, was mich stärker verdutzt, Fähnrich, Eure Neigung, Ungewöhnliches zu übersehen, oder die Bereitschaft unserer Männer, den Kindern Hilfe zu erweisen.«
Der Jüngere zuckte mit den Achseln. »Garet Warners erste Regel lautet, die jeweilige Lage stets nach ihrem Ernst zu beurteilen. Eine Hand voll Waisen und eine verbitterte Frau fortgeschrittenen Alters sind wohl kaum eine Gefahr für Medalons Sicherheit, Hauptmann. Und was die Männer angeht, so hat ihre Mehrheit selbst Sprösslinge. Dass sie den traurigen Verhältnissen, in denen diese Kinder hier leben, abhelfen möchten, ist weder als verwerflich noch als Verrat einzustufen.«
»Da fällt schon wieder das Wort ›Verrat‹, Fähnrich. Ich habe den Eindruck, Ihr verwendet es ziemlich häufig.«
»Es liegt an dem Kastell, glaube ich. Es übt irgendwie eine gewisse Wirkung auf das Gemüt aus.«
»Auch ich spüre, was Ihr meint. Vielleicht sollten wir es
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