Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
stockfinsteren Kuhweg, den entlang sie zu dem Stall strebten, in dem ihre Pferde untergestellt worden waren, hörten sie von der Dorfstraße unablässig Befehle herüberschallen. Ihnen war klar, dass sie keinen großen Vorsprung gewinnen konnten. Der Sergeant hatte sie erkannt, und mit Gewissheit dauerte es nicht lange, bis man andere Streifscharen davon benachrichtigte, dass sie sich in der hiesigen Gegend aufhielten. Die Männer, die in der Herberge nach dem Rechten gesehen hatten, zählten zu einer größeren Einheit des Hüter-Heers, die bestimmt nicht dem Befehl eines unreifen Sergeants unterstand. Nachdem die beiden dem verschlafenen Stallburschen empfohlen hatten, sich wieder im Heu auszustrecken, sattelten sie im schwachen Schein einer abgeblendeten Laterne eilends die Rösser und führten sie zum Stalltor.
Sobald Tarjanian die Laterne gelöscht hatte, öffnete er das Tor einen Spaltbreit und äugte hinaus auf die Dorfstraße. Erkennen konnte er innerhalb seiner beschränkten Sichtweite nichts, aber er hörte, dass eine größere Anzahl von Hütern sich zügig der Herberge näherte. Der Kommandant gab Befehl zum Sammeln und Vorgehen. Weil Tarjanian die Stimme vertraut war, murmelte er einen lautlosen Fluch. Nheal Alcarnen war ein Freund, oder zumindest war er früher Tarjanians Freund gewesen. Einige Zeit lang hatten sie gemeinsam an der Grenze gedient. Tarjanian verspürte keinerlei Wunsch, mit ihm in Zwist zu geraten, geschweige denn ihn zu töten, und schon gar keine Lust hatte er, etwa von ihm umgebracht zu werden. Als er in den Stall zurückwich, löste sich gegenüber eine Gestalt aus den Schatten, lief über die schlammige Dorfstraße herbei und schlüpfte, unmittelbar bevor sie das Tor schloss, an ihm vorbei ins Gebäude.
»Auf diese Weise könnt Ihr nicht entwischen«, warnte Mandah, indem sie die Kapuze ihres Umhangs zurückschlug.
»Du solltest dich um dein eigenes Wohl kümmern«, flüsterte Tarjanian.
»Uns wird nichts zustoßen.«
»Gehe ich richtig in der Annahme«, fragte R'shiel leise, »dass euch Jelanna abhilft?«
»Jelanna hat uns gelehrt, sie und die übrigen Götter zu ehren, vertrauensvoll an sie zu glauben - und sie hat uns den Rat erteilt, drunten im Herbergskeller einen Fluchtstollen zu graben. Die anderen sind inzwischen zumindest der ärgsten Gefahr entronnen.«
»Ihr Heiden seid also nicht so harmlos, wie ihr ausseht.«
»Wir sind Menschen, Hauptmann«, antwortete Mandah. »Nur ziehen wir es einfach vor, unser Vertrauen den Kräften der Natur zu schenken und nicht der Macht dieser oder jener Menschen. Es ist unser Glaube, dass der Mensch auf die Kräfte der natürlichen Welt bauen soll, anstatt...«
»Bekehre ihn ein anderes Mal«, fiel R'shiel ihr ins Wort, da der Lärm der Hüter mittlerweile bedrohlich nah erklang. Türen rumsten, und zornige Rufe wurden laut, während Hüter auf der anderen Straßenseite Häuser und Schuppen durchsuchten. Nheal Alcarnen war ein erfahrener Hauptmann. Um den Rücken ungedeckt zu lassen, wenn er die Herberge umzingelte, war er, selbst wenn seine Gegner lediglich aufgebrachte Bauersleute sein mochten, viel zu gewieft. Im Hüter-Heer trichterte man den Kadetten schon vom ersten Tag an folgenden Grundsatz ein: Eine Waffe ohne Mensch ist ungefährlich, jeder Mensch mit Waffe gefährlich. Trotzdem konnte nur noch eine kurze Frist verstreichen, bis die Krieger zum Erstürmen der Herberge ansetzten. »Jelanna hat euch nicht zufällig auch einen Fluchtweg aus dem Dorf gezeigt, oder?«
»Weise ich dir und dem Hauptmann einen solchen Weg, ist es für die Meinen zum Nachteil. Ein derartiges Wagnis kann ich nicht eingehen, wenn keine vertretbare Gegenleistung erfolgt.«
Tarjanian schnitt eine böse Miene. »Das ist Erpressung.«
Mandah hielt seinem Blick stand, als ließen das Lärmen der Hüter und die Möglichkeit einer Gefangennahme sie zur Gänze unbeeindruckt. »Keineswegs, Hauptmann. Ihr habt die freie Wahl. Flucht oder Verhaftung.«
Mehrere Augenblicke lang blieb Tarjanian unentschlossen. Über Mandahs Schulter hinweg schaute er R'shiel an, die jedoch die Schultern hob, als wollte sie sagen, sie sähe keine Wahl und wüsste keinen Anlass, um die Frage in dieser Zwickmühle lange zu erörtern. »Nun gut. Zeig uns den Weg.«
»Und dann helft Ihr uns?«, fragte Mandah und verweigerte jedes Handeln, bevor er sein Versprechen abgelegt hatte.
»Ja«, sicherte Tarjanian ihr grob zu. »Und nun vorwärts!«
Da aber war es plötzlich zu spät.
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