Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
die vielleicht niemals wieder irgendwem enge Nähe gestattete.
Sie kehrte sich ab und schritt langsam die Treppe hinunter, und Tarjanian hatte den Eindruck, einer Fremden nachzublicken.
43
Für eine Weile stapfte R’shiel achtlos durch die leeren Straßen der Zitadelle, ohne dass es sie kümmerte, wohin ihre Schritte gingen. In ihrem Gemüt herrschte solche Ruhe – ja sogar Gelassenheit –, dass nicht einmal der schwache Regen sie störte, der leise auf die glänzenden Pflastersteine herabnieselte. Weder wühlte Kummer infolge des erlittenen Verlusts sie auf, noch haderte sie mit dem harschen Los unerwiderter Liebe. Vielmehr war ihr Inneres taub geworden; gänzlich beraubt aller menschlichen Regungen, die hätten aufwallen und ihr Leid verursachen können.
R’shiel fragte sich, ob man sich als reinblütige Harshini etwa so fühlen mochte.
Nach einer gewissen Frist entdeckte sie, dass ihr Umherstreifen sie zum Kleinen Saal der Zitadelle geführt hatte. Ohne eine wissentliche Entscheidung zu fällen, erklomm sie die Freitreppe und öffnete das schwere Bronzeportal. Als es sich hinter ihr schloss, erklang ein hohles Dröhnen, das durch das weite Dunkel des Gebäudes hallte. Die Nacht schien in diesen Mauern Gefangene zu sein, in den Schatten ließ selbst die weiß verputzte Decke sich nicht erkennen.
R’shiel versuchte, sich auf die Schilderungen zu besinnen, die Brakandaran ihr vom früheren Zustand des großen Saals gegeben hatte, des einstigen Tempels der Götter, dessen Prunk damals alle Welt schier geblendet haben sollte. Sie überlegte, ob dieser kleinere, der Liebesgöttin geweihte Tempel wohl ähnlich eindrucksvoll beschaffen gewesen sein mochte. Doch ihr Vorstellungsvermögen versagte. Der Kleine Saal blieb nichts als ein großer, kahler Raum ohne Leben und ohne Schönheit.
»Warum, Kalianah?«, fragte sie in die Finsternis. Sobald der Name der Göttin fiel, erstrahlte inmitten der Schatten eine Lichtsäule. Die Liebesgöttin nahm die ihrerseits stets bevorzugte, kindliche Gestalt an, verschränkte die Arme vor der Brust und heftete einen leicht argwöhnischen Blick auf R’shiel. Ohne sich um den aufdringlichen Anspruch auf Bewunderung zu scheren, den die Göttin vermittelte, fasste R’shiel das kleine, hellblonde Mädchen missfällig ins Augenmerk. »Warum?«
»Weißt du eigentlich nicht, dass es überaus ungehöriges Betragen beweist, Götter zu rufen, als wären sie …«
»Warum hast du bewirkt, dass Tarjanian mich liebt?«
»Ach«, stieß die Göttin mit der Verlegenheit eines Kindes aus, das man beim Spielen mit Verbotenem ertappt hatte. » Davon redest du …«
»Ja, davon . Warum hast du das getan? Was verleiht dir das Recht, in meinem Leben herumzupfuschen?«
»Dahinter stand das Bestreben, behilflich zu sein.«
»Angeblich bist du die Göttin der Liebe. Wie kannst du dann so tiefes Leid zufügen?«
»Was denn«, entgegnete die Göttin patzig, »wer trägt denn daran die Schuld? Du hast meine Fügung unwirksam gemacht, nicht ich.«
»Inwiefern?«
»Du hast die Dämonen darum gebeten, aus sich selbst einen Ersatz für Tarjanians Blut zu bilden. Woher hätte ich wissen sollen, dass dir ein derartiger Einfall kommt?«
»Du hattest Dacendaran mit einer Nachricht zu mir geschickt und darauf hingewiesen, dass die Dämonen zu Tarjanians Heilung beitragen könnten.«
»Ja gewiss, aber ich hatte nicht erwartet, dass du dich ihrer auf solche Weise bedienst. Jeder Harshini hätte dir sagen können, dass dadurch meine Fügung verfliegt.«
»Wäre es bekannt gewesen, hätte mich doch wohl jemand gewarnt.«
»Brakandaran wusste es allemal. Er stand dabei, als du es getan hast. Warum fragst du nicht ihn, wieso er geschwiegen hat?«
Diese Enthüllung verdutzte R’shiel. Tatsächlich hatte Brakandaran keine Warnung ausgesprochen, nicht einmal die kleinste Andeutung gemacht.
»Ich wünsche dein Wort, Kalianah, dass du mir nie, nie wieder so etwas antust. Und auch Tarja nicht.«
»Dieses Versprechen gebe ich dir gern!«, schnaubte die Göttin entrüstet. »Ist das es, was du unter Dankbarkeit verstehst, soll es mir künftig fern liegen, dir jemals wieder zu helfen. Dann wirst du einsehen, wie schwierig es ist, irgendwen ohne meinen Segen zu lieben.«
»Ich will niemanden lieben, Kalianah, also erspare mir deinen Segen.«
Kalianah kniff die Lider zusammen und wechselte die Gestalt. Plötzlich stand eine hoch gewachsene, blonde junge Frau vor R’shiel.
»Du meinst wahrhaftig, du wärst im
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