Daemonenmal
Dunkelheit der kleinen Straße. Unter anderen Umständen hätte ich den Atem angehalten, aber das Training hatte mich fest im Griff man beraubt sich nicht selbst des Sauerstoffs, während man von einem Dach aus eine finstere Gestalt in einer Gasse beobachtet. Das tut man einfach nicht.
In wispernde blaue Seide gehüllt, glitt sie auf ihn zu, und mir klappte die Kinnlade runter – einerseits, um leise nach Luft schnappen zu können, andererseits, um dem Schock einen lautlosen Weg aus meiner Kehle zu verschaffen. Sie hatte langes dunkles Haar und leichenblasse Haut, war voller Anmut und roch nach Weihrauch und Honig.
Doch dieser Duft von anziehender Weiblichkeit verbarg etwas Schneidendes. Es war rostig, bekleckert mit altem Blut und irgendwie falsch. Mein linkes Auge zuckte und fing an zu tränen, als es die Fäden unterhalb der Oberfläche der Welt wahrnahm, die vibrierend auf Zauberei reagierten.
Wer sie auch sein mochte, sie war kein richtiger Mensch. Aber Michail stand seelenruhig da. Licht glänzte in seinem fahlen Haar, während sie sich ihm näherte, so leichtfüßig, dass ich alles andere als Beine unter diesen Röcken vermutete. Ein leises Murmeln drang an mein Ohr, weich wie Samt. Sie sprach zu ihm.
Mir sträubten sich die Nackenhaare.
Michail legte die Arme um sie wie ein Ertrinkender, der nach treibenden Wrackteilen greift, und zu zweit verschwanden sie in den Schatten. Laut wie einen Schuss hörte ich, wie diese bleichen Finger seine Gürtelschnalle öffneten, und ich wandte den Blick ah. Schamesröte stieg mir in Gesicht und Ohren und rann wie bittere Galle meinen Hals hinunter.
Leise Geräusche – ihr Flüstern, sein Atmen, das feuchte Aufeinandertreffen von Lippen und Zungen – zerrissen meine Trommelfelle wie metallene Dornen. Hitze und Scham wechselten sich ab mit brennender Kälte, die sich wie ein schweres Fell auf meine Haut legte. Die Narbe prickelte vor hämischem und brutalem Schmerz.
Lag es an meiner Wut? Oder hatte ich es auch diesmal meiner Ausbildung zu verdanken, dass ich wie festgenagelt auf dem Dach kauerte, still und reglos wie eine Natter unter einem Felsen?
Michails kleine Schlange, die unter dem Stein lag. Das Problem war nur, dass unter diesem Felsstück mehr lauerte als nur Schlangen, Ich zog mich zurück, einen Schritt nach dem anderen, aber nicht schnell genug, um den Höhepunkt zu überhören. Ich kannte dieses laute und heisere Stocken in Michails Atemzügen, wenn der Körper zum Äußersten getrieben wurde, wie er sich dann versteifte und manchmal sogar die Zähne in meine Schulter grub, um jeden Laut zu dämpfen.
Selbst vor dem Schlafzimmer macht das Training nicht halt.
Ich dachte, das Mal sei schuld. Der Gedanke kam wie aus dem Nichts und breitete sich wie giftiges Gas in meinem Kopf aus. Ich dachte, er will mich wegen der Narbe nicht mehr.
Die bittere, kalte Wahrheit kämpfte sich an die Oberfläche. Wird er zum Trader? Aber sie sieht nicht aus wie eine Höllenbrut. Erst mal musst du rausfinden, womit du es hier zu tun hast, Jill. Aber wie stellst du das an?
Ich wusste, wie. Zuerst Hutch einen Besuch abstatten, dem Mann mit der Bibliothek seltener Bücher. Dann Galina aufsuchen und ganz nebenbei, nur so, ein paar Fragen stellen.
Und was dann? Was zur Hölle bildete ich mir eigentlich ein? Er war mein Lehrer.
Ich schlich mich fort. Geräuschlos, nicht einmal mein Mantel flatterte diesmal. Heißkalte Schauer liefen mir vom Scheitel bis zur Sohle. Gleichzeitig fror und schwitzte ich, aber mein Körper lief trotzdem weiter, mein Training war mir in Fleisch und Blut übergegangen.
Ich rannte nicht blind drauflos. Immer weiter eilte ich durch die Stadt, sprang von Dach zu Dach und gab keinen Laut von mir außer einem leisen Uff, wenn ich aufkam. Ich saugte ätherische Energie durch die harte Wulst an meinem Arm, bis ich schließlich den Granit-Jesus auf dem Dach des Sisters-of-Mercy-Krankenhauses erreichte. Dort kauerte ich dann, vornübergebeugt, die Arme fest um meine bebenden Rippen geschlungen. Heißes Salzwasser floss über meine Wangen, und jetzt, da ich außerhalb der Gefahrenzone war, hörte ich kleine, leise Laute aus meiner Kehle kommen.
Ich schluchzte.
Schrecklich daran war, dass ich jeden Seufzer hinunterschluckte und mich anhörte wie eine Frau mit ultimativem Sexnotstand. Hilflos spürte ich, wie es mich beutelte. Jeder Laut war eine Schwäche für sich und erinnerte mich an den Körper meines Meisters, der sich in einer dunklen Ecke gegen etwas
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